Debatte um umstrittene Apartheid-Erklärung
22.07.25 Heinrich Bedford-Strohm verteidigt das Dokument des Weltkirchenrats
Aus: IDEA DAS CHRISTLICHE SPEKTRUM 28.2025
Die Kritik an der jüngsten Erklärung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK/Weltkirchenrat) zur Lage im Nahen Osten hält an. Hintergrund: Das Zentralkomitee des ÖRK hatte in einem am 24. Juni veröffentlichten Beschluss die israelische Politik gegenüber den Palästinensern als „System der Apartheid“ bezeichnet. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) distanzierte sich davon in einer Stellungnahme. Der Begriff „Apartheid“ beschreibe die komplexe Realität in Israel und in den palästinensischen Gebieten nicht in geeigneter Weise, so die EKD. Er entstamme dem speziellen historischen Kontext des früheren südafrikanischen Systems der gesetzlich verankerten Rassentrennung.
„Eine Übertragung dieses Begriffs auf die Situation in Israel und den besetzten Gebieten greift aus unserer Sicht zu kurz und trägt nicht zu einer sachgerechten und verantwortlichen Debatte bei.“ Weiter heißt es in dem Text, Kritik an der Politik Israels sei legitim, sie müsse aber die besonderen historischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen des Staates Israel berücksichtigen. Mit Blick auf die Situation der Zivilbevölkerung im Gazastreifen heißt es in der Stellungnahme der EKD, das durch den Krieg hervorgerufene Leid müsse benannt werden. Hauptschuldiger sei aber die palästinensische Terrororganisation Hamas.
Gohl: Sachlich falscher Kampfbegriff
Zuvor hatten sich bereits der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl (Stuttgart) und die größte deutsche Freikirche, der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG), distanziert. Gohl äußerte: „Mit der Behauptung, Israel sei ein Apartheidstaat, macht sich der Zentralausschuss des ÖRK einen politischen Kampfbegriff zu eigen, der sachlich falsch ist und in der aufgeheizten Debatte um den Weg zum Frieden im Nahen Osten nur zur weiteren Polarisierung führt.“ Gohl verwies ebenfalls darauf, dass der Begriff Apartheid aus dem historischen Kontext Südafrikas stamme, wo er bis 1994 ein gewaltsames System umfassender rassistischer Diskriminierung bezeichnete. „Er ist nicht auf Israel übertragbar“, so der Landesbischof. Viele Beispiele aus der israelischen Zivilgesellschaft zeigten das. Als Belege für die gesellschaftliche Teilhabe nannte er palästinensische Ärzte in israelischen Kliniken sowie palästinensische Israelis im Parlament und in der Regierungsverantwortung. „All das war im Apartheidsystem Südafrikas unvorstellbar.“ Zugleich betonte Gohl die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung des Konflikts.
Größte Freikirche: An der Seite der Opfer stehen
Der BEFG-Pressesprecher Michael Gruber nannte den Begriff „Apartheid“ auf IDEA-Anfrage „unpassend“, weil die historische Situation in Südafrika und die aktuelle Situation in Israel zu unterschiedlich seien. „Wichtiger als ein Streit über Begrifflichkeiten ist es uns aber, inhaltliche Positionen einzubringen, für die wir stehen: Das Leid in Gaza und den zunehmenden Antisemitismus zu beklagen, darf kein Entweder-oder sein.“ Gruber weiter: „Unverrückbar ist für uns der Grundsatz, dass wir – unabhängig von der politischen Beurteilung – an der Seite der Opfer stehen. Den zunehmenden Antisemitismus sehen wir mit großer Sorge, und jede Forderung, Israel oder jüdisches Leben auszulöschen, verurteilen wir aufs Schärfste.“ Der BEFG wurde auf der diesjährigen Tagung des ÖRK-Zentralausschusses in Johannesburg (Südafrika) als neue Mitgliedskirche aufgenommen.
Bedford-Strohm: Ich schäme mich nicht
Der Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses, der frühere EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, wies die Kritik zurück, zeigte aber zugleich Verständnis für Irritationen. Bedford-Strohm selbst lehnt die Verwendung dieses Begriffs ab, weil er aus seiner Sicht den Dialog erschwert. Er bestätigte im Interview mit der evangelischen Zeitschrift „zeitzeichen“, in den vorbereitenden Beratungen des ÖRK gegen die Verwendung des Apartheid-Begriffs argumentiert zu haben. Seine abweichende Position sei in die Protokollnotiz zur Konsensverabschiedung eingeflossen. Als Versammlungsleiter habe er selbst nicht abgestimmt. Scham über den ÖRK-Beschluss empfinde er nicht: „Was mich vor allem bewegt, ist das schreckliche Leid auf beiden Seiten.“
[Anm. der Redaktion: Dem “woken Heinrich” ist nichts zu peinlich, auch nicht das Ablegen des Kreuzes vor Betreten des Tempelberges in Jerusalem vor einigen Jahren.]