Die religiösen Riten der Drusen werden geheim von Generation zu Generation weitergegeben. Vielleicht ist deshalb öffentlich wenig bekannt über diese Gemeinschaft am Rande des Islam, die beispielsweise an die Seelenwanderung glaubt.
Im konfessionellen System des Libanon werden die Drusen zur Gruppe der Muslime gerechnet, wo sie die drittgrößte Gemeinschaft nach Sunniten und Schiiten bilden. Mit etwa 280.000 Mitgliedern dürfte ihr Anteil an der Bevölkerung bei rund 5,5% liegen. Im Blick auf die Anfänge und die Lehren dieser Religionsgemeinschaft ist die Eingruppierung unter den Islam nicht ganz selbstverständlich. Entstanden ist das Drusentum im Ägypten des 11. Jh., als das Land am Nil von den Fatimiden regiert wurde. Die Kalifen dieser Dynastie hingen dem Ismailitentum an, einem Zweig des schiitischen Islam. Dort kursierende Vorstellungen wurden von einigen Gelehrten zur Zeit des Kalifen al-Hakim (996 1021) radikalisiert und mit gnostischen und neuplatonischen Elementen verbunden. Neben Hamza, dessen Sendschreiben 1017–1020 den Grundstein der neuen Glaubensrichtung legten, tat sich ein gewisser ad-Darzi als Missionar hervor. Die Anhänger wurden schon bald nach ad-Darzi benannt (arab. ad-duruz, „Drusen“). Die Drusen selbst bezeichnen sich als Verehrer des einen Gottes (muwahhi dun). Dieser Glaube unterscheidet sie nicht vom Mehrheitsislam. Neue Antworten haben die drusischen Gelehrten aber auf die Frage gefunden, wie sich dieser eine Gott den Menschen mitteilt. Dabei unterscheiden sie Perioden der Weltgeschichte, in denen Gott sich in menschlicher Gestalt sichtbar macht, von solchen Perioden, in denen Gott verborgen bleibt. In diesen Zeiten der „Verhüllung“ müssen die unwissenden Menschen durch das Regelwerk einer Gesetzesreligion (Judentum, Christentum und Islam) mehr schlecht als recht in Zaum gehalten werden.
Wie sich Gott den Menschen mitteilt
Die drusischen Gelehrten in Kairo er kannten in al-Hakim die letzte Enthüllung Gottes auf Erden und begannen, den Kalifen als inkarnierten Gott zu verehren. Diese Verehrung hielt auch an, als der Kalif von einem Ausritt 1021 nicht mehr zurückgekehrt war. Für die Drusen war er keineswegs verunglückt und gestorben, sondern war in eine er neute Periode der Verborgenheit ent schwunden. Al-Hakims Nachfolger in Ägypten haben die Drusen als Häretiker unnach sichtig verfolgt. Hamza wurde 1021/22 in Mekka hingerichtet, während sein Nachfolger al-Muqtana die Lehre im Untergrund weiterverbreitete. Unter dem Druck der Verfolgung stellte er seine Mission ein und erklärte mit dem Jahr 1043 jene Periode für beendet, in der der letzte Ruf zur wahren Religion (da’wa) an die Menschheit ergangen war. Seit dieser Zeit ist es nicht mehr möglich, zum Drusentum zu konvertieren. Allein die Geburt von drusischen Eltern gewährt seitdem den Zugang zu dieser Religionsgemeinschaft. Es ist also vorherbestimmt, ob man Druse ist oder nicht. Damit hängt die Lehre von der Seelenwanderung zusammen. Die Wiederverkörperungen der Seele dienen ihrer Bewährung. Die drusische Theologie erklärt damit das Unglück und das Leid, das manche Menschen ungleich härter trifft als andere. Es sind gerechte Strafen für das Unrecht, das ein Mensch in einem früheren Leben begangen hat. Unter den menschlichen Seelen ist eine stets gleichbleibende Anzahl für das Drusentum auserwählt.
Im Libanon liegt heute das Zentrum der drusischen Gemeinschaft
Bis zum Ende des Rufes hatten sich einige Stämme im Libanongebirge und in Syrien dem Drusentum angeschlossen. Die Ursprünge der libanesischen Drusen liegen im Wadi at-Taym an der westlichen Flanke des Hermon. Hinzu kommen im heutigen Syrien einige kleine Gebiete im Norden und dann vor allem die dichte drusische Besiedlung der südlichen Provinz Hauran. Dort dürften die Drusen allerdings erst später eingewandert sein. Auch im nördlichen Galiläa im heutigen Israel existiert seit alters eine drusische Bevölkerung. In den schwer zugänglichen Bergregionen des Libanon konnte die Gemeinschaft gut überleben. Bald zog man in den Chouf, den südlichen Teil des Libanongebirges, der heute das Zentrum der Gemeinschaft ist. Unter der Herrschaft der Mamluken und dann unter den Osmanen konnten die drusischen Emire ein hohes Maß an Eigenständigkeit erreichen. Auch wenn die Drusen nicht den Status einer Millet genossen, konnten sie de facto ihre Angelegenheiten, auch im Personenstandsrecht, selbstständig regeln. Unter Emir Fakhr ed-Din II. (1598–1635) erlebte das Emirat seine größte Ausbreitung und eine wirtschaftliche Blütezeit. Die Fläche, über die Fakhr ed-Din herrschte, reicht fast an das im 20. Jh. umrissene libanesische Staatsgebiet heran. Nicht nur den Drusen gilt der Emir deswegen in gewisser Weise als Vorläufer des modernen Libanon. Er förderte den Anbau von Baum wolle im Chouf und siedelte deswegen Maroniten als Arbeitskräfte an. Später sollte das Nebeneinander von Drusen und Maroniten jedoch immer wieder in tragische und blutige Konflikte münden.
Erst in neuerer Zeit haben sich die Drusen bewusst als Araber und Muslime verstanden. Maßgeblich dafür war Sakib Arslan (1869–1946), ein Intellektueller aus alter Adelsfamilie, der in der Politik pan-arabische und pan-islamische Ziele verfolgte. Im heutigen Selbstverständnis der Drusen wird der Libanon auch nicht so sehr als Zufluchtsort gesehen. Vielmehr hätten die Kalifen jene kriegstüchtigen arabischen Stämme, die später den drusischen Ruf annehmen sollten, bewusst in diesem Gebirge angesiedelt. Sie sollten die Küste des islamischen Reichs vor Angriffen aus dem Westen schützen. Dabei wird zuerst an die Byzantiner, dann an die Kreuzfahrer gedacht. Die Drusen in Israel sind naheliegenderweise sehr zu rückhaltend, was die arabische Identität angeht. Dem Pan-Arabismus ist auch die libanesische sozialistische Fortschrittspartei verpflichtet, die der Drusenführer Kamal Dschumblatt 1949 gegründet hat. Es ist in der politischen Kultur des Libanon nicht unüblich, dass der Parteivorsitz vom Vater auf den Sohn übergeht: 1977 auf Walid Dschumblatt und 2023 auf dessen Sohn Taymur.
Ethische Grundsätze, privat gelebt
Die drusische Gemeinschaft lebt streng endogam. Im Chouf wird noch immer die traditionelle Kleidung getragen, zu der die weiße Verschleierung der Frau gehört. Die Religion unterscheidet einen kleinen Kreis Eingeweihter („Ver ständiger“), die Kenntnis der heiligen Schriften haben, von der Mehrheit der „Unwissenden“. Zu den „Verständigen“ gehören auch Frauen. Nachdem die Lesung des Koran, öffentliches Gebet und Moschee für die Drusen abgeschafft sind, bilden ethische Grundsätze das Zentrum einer privat gelebten Religion. Die „Verständigen“ ziehen sich regelmäßig in kleine Lehrhäuser (khalwa) zurück, in denen sie ihre heiligen Schriften meditieren und auslegen. Der Kanon der heiligen Schriften besteht vornehmlich aus den Lehrbriefen der drusischen Theologen des Anfangs. Als Heiligtümer (maqam bzw. mazar) werden die Grabstätten besonders frommer Menschen verehrt. Zu den Wallfahrtsfesten erklingen Lieder und es werden Tänze aufgeführt. Besondere Anziehungskraft besitzt der Maqam Nabi Ayyoub bei Niha im Chouf-Gebirge, wo die Drusen das Grab des Propheten Hiob verehren.
[Prof. Dr. Karl Pinggéra lehrt Kirchengeschichte an der Universität Marburg.]