Das Alte Testament erzählt, dass Salomos Königreich in zwei Reiche geteilt wurde: Juda und Israel. Die Könige von Rehabeam [רְחַבְעָם] bis Zidkija [צִדְקִיָּהוּ] im Südreich Juda und von Jerobeam [יָרָבְעָם] bis Hoschea [הוֹשֵׁעַ] im Nordreich Israel regierten in bewegten Zeiten.
Ein erster Blick auf die biblischen Königsbücher offenbart: es fließt ziemlich viel Blut in den Erzählungen über die Könige! Da ermorden Söhne ihre Väter, Palastangestellte ihre Chefs, auswärtige Feinde den König, Putschisten Königinnen ... War es wirklich so? Herrscherwechsel, waren in der Alten Welt oft von Wirren begleitet. Denn dynastische Systeme sind anfällig, wenn jemand einen geborenen Nachfolger anzweifelt und eine neue Dynastie begründen will. Politische Morde hat es zu allen Zeiten gegeben und die Erinnerungen daran sind auch in der Bibel erhalten. Die Erzählungen über die Könige Israels und Judas finden sich in der Bibel in den Büchern 1.Könige und 2.Könige zu finden. In den Büchern 1.Chronik und 2.Chronik wurde später, im 4. Jh. vC, die Geschichte der Könige Judas noch einmal erzählt. Die Königsbücher handeln ab 1.Kön 12 von der Zeit nach König Salomo, also ab etwa 922 vC, nach der sogenannten „Reichsteilung“ bis ins Babylonische Exil hinein. Archäologisch bezeichnet man die Zeit der zwei Königreiche Israel und Juda als „Eisenzeit II“, unterteilt in IIA, IIB und IIC. Die Königsbücher müssen relativ kurz nach 561 vC als ursprünglich ein Buch verfasst worden sein. In diesem Jahr wurde der ins Exil nach Babylon verschleppte vorletzte König Judas, Jojachin [יְהוֹיָכִין], begnadigt. Dieses Ereignis vermelden die Königsbücher als letzte Information. Die Geschichte wird also als Retrospektive geschrieben, ob in Israel oder Babylon ist nicht endgültig geklärt. Bei der Verschriftlichung wurden die vorhandenen Informationen berücksichtigt: Namenslisten, Regierungszeiten, Notizen über wichtige Ereignisse sowie über Errungenschaften und Niederlagen der jeweiligen Könige. Der eine Herrscher galt als charismatisch, der andere kommt eher blass daher. So ergibt sich ein facettenreiches, historisches Kaleidoskop.
Wie die Könige beurteilt wurden
Nachdem die Fakten, soweit bekannt, gesammelt waren, erhielten die einzelnen Lebensläufe aber noch einen einzigartigen »theologischen Spin«: Jeder einzelne König wurde danach beurteilt, ob er gottgefällig gehandelt hatte oder nicht. Und da hatten erwartungsgemäß fast alle versagt! Und durch ihr sündhaftes Verhalten zwei »Reiche« in den Untergang geführt. Der Grund lag für die Jerusalemer Geschichtsschreiber schlicht darin, dass die Könige die Bestimmungen der Tora nicht befolgt hatten. Nur deshalb konnten die Gemeinschaften ihres starken Gottes JHWH von Feinden erobert werden: Israel 722 vC von den Assyrern und Juda 586 vC von den Babyloniern. Die Könige des Nordreichs Israel kommen grundsätzlich schlecht weg, weil sie alle in der deutenden Rückschau fremden Göttern die Ehre gegeben haben. Archäologisch sind tatsächlich viele Kultplätze und Heiligtümer aus der Königszeit im Norden wie im Süden nachweisbar. Die Könige des Südreichs Juda werden zwar teilweise etwas besser bewertet, die Schreiber stammten schließlich von dort. Doch auch das Königreich Juda geht ebenfalls unter.
Eine dichte Erzählung
Nach heutigen Maßstäben kamen die damaligen Könige als ziemlich junge Männer an die Macht, mit 16, 18, 21 Jahren, manche sogar als Kinder. Joasch war 7 [יוֹאָשׁ] und Joschija [יֹאשִׁיָּהוּ] 8 Jahre alt. Die Könige des Nordens und des Südens befanden sich die meiste Zeit in Konfliktsituationen: Zuerst und immer wieder untereinander, dann mit den Aramäern, die in Damaskus herrschten, häufig mit Nachbarvölkern wie Moab und Edom, mit den Assyrern, ägyptischen Pharaonen von Ägypten und zuletzt mit den Babyloniern. Literarisch ist in den Königsbüchern ein ständiger Wechsel von Dramatik und Normalität, Ränkespielen und Verwaltungsakten entstanden. Man spürt, dass die Könige und ihre Volksgemeinschaften in Juda und Israel gerungen haben – um ihre Existenz, um Gottes Gunst und Erbarmen, um Macht, um Geld, um das ethisch richtige Verhalten, um Verrat und Ehrlichkeit.
Die JHWH-treuen Propheten: Ahija von Schilo [אֲחִיָּה הַשִּׁילֹנִי], Schemaja [שְׁמַעְיָה], Jehu ben Hananis [חֹזֶה], Micha ben Jimla [מִיכָיְהוּ בֶן־יִמְלָה], Jesaja ben Amoz [ישעיהו בן אמוץ], die Prophetin Hulda [חֻלְדָּה], viele weitere namenlose Prophetinnen und Propheten und natürlich Elia [אֵלִיָּהוּ] und Elischa [אֱלִישָׁע] ermahnen die Könige unermüdlich, sich an die Gebote JHWHs zu halten. Zuweilen mussten sie deshalb um ihr Leben bangen. Der Erzählzyklus um Elia und Elischa und die Könige Ahab [אַחְאָב], Ahasja [אֲחַזְיָהוּ] und Joram [יְהֹורָם] birgt berührende Geschichten wie etwa die Heilung des Sohnes der Witwe von Sarepta, das Gottesurteil über die Ba’al-Priester am Karmel, Elia am Horeb, Elischas Ölwunder, sein Quellwunder, die Erweckung des Kindes der Frau aus Schunem, die Heilung des Naaman ...
Frauengestalten in den Königsbüchern
Frauen, die in den Königsbüchern als Protagonistinnen auftreten, sind rar. Zwei Frauen aber hatten offensichtlich Anteil an der Macht in Juda und Israel: Isebel und Atalja. Die erste ist für zwei Jahrzehnte einflussreiche Königsgattin in Samaria, der Hauptstadt des Nordreichs, die zweite sechs Jahre regierende Herrscherin in Jerusalem. Beide Frauen waren zugleich Täterinnen und Opfer, sie morden und werden ermordet. Als Ataljas Sohn Ahasja getötet wird, lässt sie alle Thronerben umbringen und wird zuletzt während eines Putsches selbst erschlagen. Isebel lässt u. a. zahllose JHWH-Propheten ermorden, bevor sie Jehu zum Opfer fällt. Isebel und Atalja sterben im Machtkampf, genau so wie viele männliche Protagonisten in den Königsbüchern. Beide werden mit dem Ba’al-Kult verbunden, wobei Isebel aus Phönizien und Atalja aus dem Nordreich stammte. Das sie als besonders bösartig geschildert werden, darf als literarische Überzeichnet gelesen werden. Das Urteil über Isebel, die Verehrerin Ba’als und Ascheras, ist dabei besonders vernichtend. Jehu, ihr Mörder, lässt sie aus dem Fenster werfen. Aber die Erzählung will noch mehr: Sie will Isebel regelrecht auslöschen. Als Jehu anordnet, ihren Leichnam zu begraben, haben die Hunde bereits bis auf Hände, Füße und Kopf alles gefressen. Die Gefahr durch eine solche fremde Frau, die Macht hatte und Fremdgötterkulte ins Land brachte, schätzten die Autoren der Königsbücher offensichtlich überaus hoch ein.
Die Geschichte der Könige ist fesselnd, weil dem Leser hier die biblischen Geschichtsbücher als Geschichtenbücher vor Augen treten. Die Erfahrung der gescheiterten Könige prägen die Bibel zutiefst. Geschichte erzählen bedeutet in der Bibel Identität herstellen und Optionen für ein Leben in Einklang mit dem Gott Israels zu finden.