Die Suche nach der richtigen Israel-Politik
03.08.2025 Welche Prinzipien sollten die deutsche Israelpolitik bestimmen?
Der europäischen und deutschen Kritik an Israel im Vorgehen gegen die Hamas und den Iran liegt ein Problem zugrunde: Außer Sanktionen gibt es keine wirklichen Handlungsoptionen gegen Staaten und Regimes, die die europäische Friedens- und Nachkriegsordnung ablehnen. Geleitet von Lektionen der eigenen Geschichte hat die Bundesrepublik zu Recht den Militarismus abgelehnt und sich dem Multilateralismus und der „Friedenspolitik“ verschrieben.
Nach dem Ende des Kalten Krieges nahm die Überzeugung zu, dass Europa nicht länger gefährdet sei und Deutschland keine größeren militärischen Fähigkeiten mehr brauche. Damit entledigte sich unser Land jedoch auch mancher Optionen und Möglichkeiten der eigenen und verbündeten Machtprojektion – auch für die nicht allzu seltenen Fälle, dass internationale „Partner“ die Regeln der friedlichen Konfliktlösung ablehnen und auf die Macht des Stärkeren rekurrieren. Mike Huckabee, seit April US-Botschafter in Israel, sagte im Juni bei einem Gebetsfrühstück für christliche Unterstützer Israels in Jerusalem sinngemäß: „Natürlich bevorzugen wir die Diplomatie, um Konflikte zu lösen. Aber wenn diese scheitert, tauchen in der Regel die Soldaten auf. Daher müssen wir dankbar dafür sein, Soldaten zu haben.“
„Friedenspolitik“ weitgehend machtlos im Nahen Osten
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit dem Februar 2022 hat Deutschland aus dem sprichwörtlichen Dornröschenschlaf aufgeweckt. Die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) damals proklamierte „Zeitenwende“ zeigt, dass eine „Friedenspolitik“ ohne ausreichendes Abschreckungs- und Verteidigungspotenzial zum Scheitern verurteilt ist. Die „Friedensmacht“ Deutschland kann weder Russland noch den Iran abschrecken. Was Europa seit dem Februar 2022 erlebt, kennt Israel seit den frühesten Versuchen, den Judenstaat im britischen Mandatsgebiet aufzubauen und ihn weiterzuentwickeln. Von Anfang an musste sich Israel militärisch stark genug aufstellen, um unter hoher Opferbereitschaft seine Freiheit und Unabhängigkeit zu verteidigen, und gleichzeitig immer wieder die Hand zum Frieden auszustrecken. Es musste auch immer den politischen und gesellschaftlichen Willen für beides aufbringen.
Ein zentrales Problem der deutschen und europäischen Außenpolitik ist der Mangel an realistischer Erkenntnis, dass der Islamismus und Israelhass in der arabisch-islamischen Welt nicht nur für Israel, sondern auch für Europa und den Westen eine Bedrohung sind und sich nicht durch „Appeasement“ befrieden lassen. Solange sich der Islam nicht reformiert, wird der Nahe Osten kaum Israels Existenz akzeptieren. Ein weitestgehend säkularisierter Westen kann die gesellschaftliche und kulturelle Durchdringung von religiösen Überzeugungen, wie sie im Nahen Osten vorherrschen, nicht mehr verstehen. Weil die Ablehnung Israels zum Teil religiös begründet ist, können die westlichen beziehungsweise säkularen Vorstellungen für einen Frieden im Nahen Osten nicht greifen, auch wenn sie rational einen Sinn ergeben, wie zum Beispiel das Konzept der „Zwei-Staaten-Lösung“.
Israel als strategischer Partner der westlichen Wertegemeinschaft
Voraussetzung für eine sinnvolle Nahostpolitik ist das Verständnis, dass Israel ein strategischer Partner im Nahen Osten ist. Zudem muss auf doppelte Standards verzichtet werden. Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden. Genauso selbstverständlich, wie für Israel das Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht gilt, sollten die gleichen Forderungen auch an Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen, an die Iraner, Katarer und andere gestellt werden – auch wenn zum Beispiel die Palästinenser von den meisten Staaten nicht als Völkerrechtssubjekt anerkannt sind. Warum gilt „Übertreibt’s nicht!“ für Israel, und nicht für die Hamas? Wo bleibt die „Höchste Sorge“ beim Schicksal der Geiseln, wie sie für die Zivilbevölkerung in Gaza ausgedrückt wird?
Der Iran mit seinen Proxys Hamas und Hisbollah, genauso wie das gegenwärtige Russland, lassen sich in keine „Friedensordnung“ einbeziehen – im Gegenteil, sie bekämpfen diese europäische Friedens- und Werteordnung und erkennen die Prinzipien des Völkerrechtes nicht an. Sie bekämpfen nicht nur den jüdischen Staat, sondern die gesamte westliche, liberale und demokratische Ordnung. Ähnlich brachte dies im Juni 2025 der ukrainische Parlamentsabgeordnete Oleksii Honcharenko bei einer parlamentarischen Versammlung des Europarates auf den Punkt: „Israel schützt die Grundwerte, die wir alle hier teilen. Wir sprechen von Frauenrechten. Wer schützt die Frauenrechte im Nahen Osten? Israel. Wir sprechen von Demokratie. Was ist Demokratie im Nahen Osten? Israel. Wir sprechen über Menschenrechte und die Herrschaft des Rechts. Israel, Israel, Israel. Anstelle der Kritik an Israel sollten wir Israel unterstützen.“
Politiker der Mitte in Deutschland gestehen der Ukraine zu Recht zu, dass diese nicht nur ihre Heimat, ihr Land und ihr Volk, ihre Geschichte und Kultur vor der revisionistischen Aggression Russlands verteidigt, sondern auch Europa und damit unsere geteilten Werte. Die Ukraine verteidigt unsere Freiheit und Demokratie dadurch, dass sie unter großen Opfern ihre Nation und ihr Staatsgebiet zu schützen sucht. Die Wirksamkeit universaler liberaler Werte, wie Menschen- und Bürgerrechte und des Völkerrechts, ist daran gebunden, dass sie durch einen nationalen Rechtsstaat nach innen und außen durchgesetzt werden. Auf dem ukrainischen Staatsgebiet, das inzwischen von Russland völkerrechtswidrig besetzt ist, gibt es keine freien Wahlen, Meinungsfreiheit oder Rechtsstaatlichkeit mehr.
Bedrohung durch den Islamismus
Parallel dazu darf unsere Politik verstärkt die Erkenntnis darüber erlangen, dass auch Israel nicht nur sein Land und seine eigene Demokratie und Freiheit verteidigt, sondern auch die liberalen Werte der gesamten westlichen Welt. Angela Merkel (CDU) hatte auf diese moralische, strukturelle Verbundenheit zwischen Israel und Europa beziehungsweise Deutschland im liberalen Demokratie- und Staatsverständnis in ihrer wegweisenden Ansprache in der Knesset 2008 verwiesen. Tatsächlich ist es seit Jahren der politische und extremistische Islam im Nahen Osten, der genau diese unsere gemeinsamen Werte bekämpft. Vermutlich war der Angriff Israels auf den Iran, mit amerikanischer Unterstützung, die einzige realisierbare Möglichkeit, das Atomwaffen- und Raketenprogramm der Islamischen Republik und seine völkerrechtswidrigen Absichten zur Auslöschung Israel außer Dienst zu stellen, sofern dies denn ausreichend gelungen sein mag.
Aktuell scheint es, dass in der Bundesregierung mehrheitlich Einvernehmen dazu herrscht. Damit mag diese gegenwärtig dem Anspruch der „deutschen Staatsräson“ gerecht werden: Israels Bedrohung ernst zu nehmen und Israel sich seiner Verantwortung für die eigene Sicherheit und Existenz gerecht werden zu lassen – und es wo nötig durch Waffenlieferungen dazu zu befähigen. Daher ist und bleibt es richtig, die Rüstungskooperation mit dem jüdischen Staat uneingeschränkt fortzuführen. Israel muss zu jeder Zeit die nötigen militärischen Ressourcen haben, um sich eigenständig und im Zweifelsfalle auch nach eigenem Ermessen verteidigen zu können. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die Verteidigungszusammenarbeit mit Israel auch für die Bundesrepublik, die Bundeswehr und die Terrorismusbekämpfung hierzulande über Jahrzehnte hinweg vorteilhaft war. Bei seinem Solidaritätsbesuch Ende Juni in Israel erlebte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), wie nützlich auch für Deutschland eine Kooperation mit Israel im Bereich der Cybersicherheit und dem Bevölkerungsschutz sein wird.
[Von Nicolas Dreyer, 16.7.25 israelnetz.com]