Man kann den Unmut der Bauern verstehen. Jetzt beschließen auch noch mehr und mehr evangelische Institutionen, in ihren Küchen auf Fleisch zu verzichten. In manchen evangelischen Kindertagesstätten in Hamburg zum Beispiel wird Fleischverzehr unpopulär. Eine ganze Palette an Gründen tischen Protestanten dabei auf: gesundheitliche, religiöse, ökologische, finanzielle, nicht zuletzt solche des Tierschutzes. Regelmäßig handeln sie sich damit heftige Debatten der Landwirte ein. Diese wollen nicht als Umweltsünder und Tierquäler abgestempelt werden.
Dürfen Christinnen und Christen kein Fleisch mehr essen? Es gibt Vegetarier, die durchsuchen die Bibel nach jeder Empfehlung, dem Fleischkonsum zu entsagen. Da stoßen sie allerdings schon im ersten Buch der Bibel auf die Aussage des Schöpfers: "Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben." (Genesis 9,3) Wenn im Paradies noch Vegetarismus herrschte und Gott erst nach dem Desaster der Sintflut der sündigen Menschheit Tiere als Nahrungsmittel zugestand, dann spricht auch das eher für als gegen Fleischkonsum heute.
Ein schlichtes Maßnehmen an der Person Jesu führt beim Thema Vegetarismus auch nicht weiter. Vegetarier zitieren gern, dass Jesus und seine Jünger beim Passahfest kein Fleisch gegessen hätten. Der Mann, in dessen Haus Jesus und seine Jünger feierten, war möglicherweise Essener, also Mitglied einer besonderen jüdischen Gemeinschaft. Angeblich folgten die Essener, die in und bei den Qumran-Höhlen am Toten Meer in der Erwartung des Messias lebten, vegetarischen Lebensregeln. Doch das ist fragwürdig. Die Essener, zu denen wenige Theologen auch Jesus selbst rechnen, hinterließen wertvolle Handschriften – die sind bezeichnenderweise auf Pergamenten geschrieben, also auf Tierhäuten.
Jesus war kein Vegetarier. Punkt. Er aß Fisch und Lamm. Und dürfen Christen Fleisch essen? Die klare Antwort lautet: Ja! Formale Gebote und Verbote der Bibel dazu gibt es nicht. Es gehört gerade zur christlichen Freiheit, dass Christen keinen religiösen Speisegesetzen unterliegen. Das gilt hinsichtlich bestimmter Tierarten ebenso wie im Blick auf die Schlachtregeln – hier gelten die staatlichen Vorgaben. Es zählt zu den ältesten Inhalten christlicher Verkündigung, traditionelle religiöse Gesetze, in diesem Fall die Speisetabus, zu hinterfragen. Auch die Reformatoren viele Jahrhunderte später pochten auf das religiöse Prinzip: Nicht die Erfüllung von Moralregeln und Normen (einschließlich der Essensnormen) bringt uns Gott näher, sondern allein der Glaube. Damit entzogen sie jeder "Werkgerechtigkeit" die Grundlage, mithin auch dem katholischen Fleischverbot an Fasttagen.
Nun kann es Christen egal sein, ob Jesus Vegetarier war, und sie können dennoch gute Gründe für einen Fleischverzicht benennen. Denn die Frage, ob Christen Fleisch essen dürfen, geht weit darüber hinaus, ob es ein biblisches Ge- oder Verbot gibt. Sie ist eingebettet in das Gesamtverständnis der Schöpfung. Sie schließt die Fragen mit ein, ob und welcher Fleischkonsum legitim ist, wie die Lebenssituation der Tiere war, die unters Schlachtmesser kommen, und wie das Schlachten selbst abläuft. Schließlich: wie übermäßiger Konsum von Billigfleisch nicht nur das Wohl der Tiere schädigt, sondern auch die Gesundheit ihrer Konsumenten.
Passt alles so gut zusammen, dass jedes Geschöpf, Tier und Mensch, jeder Bereich der Natur zu seinem Recht kommt? Sehen wir es als unsere Aufgabe an, nicht nur den richtigen Garpunkt zu treffen, sondern auch das rechte Maß zwischen Genuss und sozialer und Umwelt-Verantwortung? Es ist gut evangelisch, den Menschen zu überlassen, wie sie sich ernähren wollen, ihnen aber auch die Informationen zu einer selbstverantwortlichen Entscheidung zu geben. Und so wird aus der einfach klingenden Frage "Dürfen Christen Fleisch essen?" der Anstoß zu einer immer weiterführenden, vielschichtigen Anfrage an unsere Lebensgewohnheiten und unsere Kultur.
Textquelle: chrismon, Juli 2023