Liebe Gemeindemitglieder, Schwestern und Brüder in Christo,
der Dienst an Gott kennt keine Sommerpause, zumindest nicht am Gemeindestandort Pattaya ... Die Berichte über unsere beiden Abendmahlsgottesdienste am 16.07. und 30.07. inklusive der jeweiligen Youtube-Links findet ihr weiter unten.
Auch die Renovierungsarbeiten im Begegnungszentrum schreiten munter voran (siehe Bericht). Die Spendenaktion für die Renovierung der beiden Sanitärzellen im Erdgeschoss hat bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht den notwendigen Betrag generiert. Spenden können jederzeit einfach in bar bei Khun Jack im BZP mit entsprechendem Hinweis hinterlegt werden. Ein herzliches Vergelt’s Gott an alle, die sich daran beteiligen.
Hier noch einmal die Links zu unseren beiden Websites:
Begegnungszentrum Pattaya: www.bzpattaya.com
Evangelische Gemeinde Pattaya: www.egpattaya.com
Obwohl noch nicht ganz komplett erfreuen sich beide Internetauftritte mittlerweile großer Beliebtheit und werden immer häufiger besucht. An dieser Stelle ein herzliches Danke! an unseren ehrenamtlichen Webmaster Thorsten und die Redaktionsteams beider Seiten!
Wie es mit dem Begegnungszentrum Pattaya weitergeht, ist ja mittlerweile hinreichend bekannt gemacht worden. Der Fortbestand des BZP ist bis Mitte 2029 vertraglich und finanziell gesichert, die Leitung obliegt fortan ausschließlich der Evangelischen Gemeinde in Pattaya. Was die Zukunft der Evangelischen (Gesamt)Gemeinde Deutscher Sprache in Thailand anbelangt, so ist diese aus Sicht des - trotz gegenteiliger Behauptungen einzelner Protagonisten in Bangkok und Hannover – von EUCH gewählten und nach wie vor im Amt befindlichen Kirchengemeinderates nicht geklärt.
Dies hat aber auf unsere gemeindliche Aktivitäten und unserem diakonischen Engagement hier in Pattaya keinerlei Auswirkungen und wir werden unsere erfolgreiche Arbeit zum Wohl unserer Gemeinschaft unbeirrt fortsetzen. Sobald eine verbindliche Vereinbarung verhandelt oder durch eine juristische Klärung herbeigeführt sein wird, werden wir diese im Rahmen einer Gemeindeversammlung im BZP bekanntgeben.
Auch wenn das Programm des Begegnungszentrums traditionell im Juli und August etwas schlanker ist, lohnt sich ein Besuch. Denn schließlich waren, sind und bleiben wir in erster Linie ein Ort, wo Menschen einander begegnen, sich gegenseitig helfen und gemeinsame Interessen entdecken können. In diesem Sinne wünschen wir allen einen schönen August und unseren Zugvögeln nach und nach eine gesunde und sichere Heimkehr nach Pattaya.
Bleibt gesund und behütet mit Gottes Segen auf all euren Wegen.
Eure Gemeindebrief-Redaktion
Unsere Gottesdienste im Juli 2023
Thema der Predigt: Das im ganzen irdischen Menschenleben am meisten benutzte Wort soll der Ausdruck Ärger sein. Aber wenn wir an das Zugegensein Gottes mit uns und an seine Liebe zu uns glauben, dann sollte es uns doch leichter ums Herz werden. Damit sind nicht die berechtigten Klagen der wirklich Leidenden gemeint, die dürfen selbstverständlich vor Gott bringen. Das was in der Bibel mit dem Wort „murren“ ausgedrückt wird, nennen wir heute meckern, maulen, nörgeln über - bei Licht betrachtet - alltägliche Kleinigkeiten. Die Verbreitungsgeschwindigkeit der Epidemie „Meckern und Motzen“ ist viel höher als die von Freude oder Dankbarkeit. Damit schaden wir nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Mitmenschen. Und damit versündigen wir uns an uns selbst und an anderen.
Youtube-Video zum Gottesdienst:
Thema der Predigt: Was ich tue oder unterlasse, was ich sage und plane, ist nicht gleichgültig. Wer vom Glauben an Jesus angesteckt ist, der weiß: Ich bin verantwortlich. Mein Leben kann etwas verändern. Wie ein Stein, der ins Wasser fällt, oder wie ein Funke, der überspringt, setzt die frohe Botschaft von Jesus Christus Menschen in Bewegung.
So redet der 8. Sonntag nach Trinitatis von den Auswirkungen des Glaubens: Als Licht der Welt und Salz der Erde werden Christen in der Welt nicht unbemerkt bleiben und oft genug auch darin anecken. Als reich Beschenkte werden sie ihren Besitz teilen. Und von Gottes Licht berührt werden sie selbst wie Kirchenfenster leuchten.
Youtube-Video zum Gottesdienst:
RENOVIERUNG DES BZP SCHREITET VORAN
Unter Leitung unseres multifunktionalen Ehrenamtlers Bernhard wurde mittlerweile die Renovierung der Seminarräume im 1. und 2. Stock abgeschlossen. Vielen Dank an den Freundeskreis Begegnungszentrum (FBZ), dessen Spende dieses Projekt finanziert hat.
Des Weiteren haben die Sanierungsarbeiten im Treppenhaus mittlerweile begonnen. Und die künftige Auslagerung der Bibliothek befindet sich in der finalen Planungsphase, die dafür notwendigen Mittel wurden bereits zweckgebunden eingeworben. Für die geplante und u.E. nach dringend notwendige Sanierung der Toiletten im Erdgeschoss fehlen allerdings noch die benötigten Mittel.
Geplant ist hier eine behindertengerechte Sanitärzelle sowie eine weitere Unisex-Toilette. Wer mit einer Spende zu der Realisierung dieses Projektes beitragen möchte, kann sich gerne zwecks weiterer Informationen an Khun Jack im BZP oder Peter Hirsekorn unter kaiphas1957@gmail.com wenden.
Frisch gespachtelt und gestrichen: Seminarraum im 1. Stock
Auch der Seminarraum im 2. Stock ist mittlerweile renoviert
VIER TIPPS VON MARTIN LUTHER, WIE MAN DIE BIBEL LSESEN UND VERSTEHEN KANN
Als der Reformator Martin Luther (1483-1546) in der Bibel las, dass Gott die Menschen über alles liebt, wollte er diesen «Schatz» allen zugänglich machen. Und er lieferte wertvolle Tipps, wie man das «Buch der Bücher» verstehen kann.
Entdecken, was Gott sagen möchte
Luther: «Ich lese die Bibel, wie ich meinen Apfelbaum ernte: Ich schüttle ihn, und was runterkommt und reif ist, das nehme ich. Das andere lasse ich noch hängen. Wenn ich eine Stelle der Bibel nicht verstehe, ziehe ich den Hut und geh vorüber.» Wenn du also das nächste Mal die Bibel aufschlägst, bitte Gott, dass er dieses Buch, in dem er sich uns Menschen offenbart, auch für dich lebendig macht und durch die Worte zu dir spricht, die gerade für dich «reif sind». Und: «Reifen» kann man in jedem Gottesdienst oder auch im Gespräch mit anderen Christen, beispielsweise im Bibelkreis des Begegnungszentrums, der im September wieder startet.
Weniger ist intensiver
Luther: «Die Heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es. Wie das Wort ist, so wird auch die Seele davon». Je intensiver Sie sich mit einzelnen Sätzen der Bibel beschäftigen, desto mehr wirst du begreifen, welchen Schatz dieses Buch birgt. Lies lieber wenige Sätze und denke dann darüber nach: «Hat das eine Bedeutung für mich? Und wenn ja, welche?» Du musst nicht alles gleich auf Anhieb verstehen. Martin dazu: «Ich habe nun 28 Jahr, seit ich Doktor geworden bin, stetig in der Biblia gelesen und daraus gepredigt, doch bin ich ihrer nicht mächtig und find' noch alle Tage etwas Neues drinnen.» Mach dich frei vom Leistungsdruck, alles sofort verstehen zu müssen. Die Bibel wird doch gerade deshalb als «lebendiges Wort» bezeichnet, weil Menschen, die darin lesen, immer wieder etwas Intensives, Neues entdecken können.
Das Wort tief im Herzen wirken lassen
Luther: «Wenn Du am Abend schlafen gehst, so nimm noch etwas aus der Heiligen Schrift mit Dir zu Bett, um es im Herzen zu erwägen und es – gleich wie ein Tier – wiederzukäuen und damit sanft einzuschlafen. Es soll aber nicht viel sein, eher ganz wenig, aber gut durchdacht und verstanden. Und wenn Du am Morgen aufstehst, sollst Du es als den Ertrag des gestrigen Tages vorfinden.»
Bei Jesus beginnen
Wenn du nicht recht weißt, mit welchem Buch der Bibel du anfangen sollst, beginne bei der Hauptperson der Bibel: Jesus Christus. Gleich zu Beginn des Neuen Testaments finden sich die vier Evangelien von Markus, Matthäus, Lukas und Johannes. Alle vier haben – aus unterschiedlichen Perspektiven - über sein Leben, seinen Tod und seine Auferstehung Berichte hinterlassen. Wir sind die Kirche Jesu Christis und seine Gute Nachricht ist ein stetes Licht auf unserem Weg durch den nicht immer leichten Alltag. Auch Martin Luther wusste: «Bei Christus kann man Gott nicht verfehlen.»
Eine sehr gute und allgemein verständliche Einführung in die Bedeutung der Bibel für den christlichen Glauben findet ihr hier: https://www.egpattaya.com/p/die-bedeutung-der-bibel-fur-den-christlichen
Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt. (Ringelnatz)
WAS IST EIGENTLICH DAS REFORMATORISCHE AN DER REFORMATION ?
Erster Teil: Allgemeine Einführung
Die Reformation war für die europäische Geschichte in jeder Hinsicht ein einschneidendes Ereignis. Denn sie veränderte nicht nur christliche Theologie und Frömmigkeit, sondern hatte auch Auswirkungen auf die gesellschaftlichen und politischen Strukturen in Europa. Zudem wurden ethische Auffassungen auf ein neues Fundament gestellt und rechtliche Normen neu definiert. Aber auch schon vor der Reformation hatte es im Spätmittelalter Erneuerungsbewegungen innerhalb der Kirche gegeben, ebenso wie Kritik an herrschenden Strukturen und Praktiken.
So hatten z.B. die Waldenser, die Anhänger des aus Lyon stammenden Kaufmanns Petrus Valdes (ca. 1140 - 1218), die Rückkehr der kirchlichen Amtsträger zu apostolischer Armut gefordert und einen starken Akzent auf Predigt und Bibelstudium gesetzt. Die Lektüre der Bibel sollte nicht nur dem Klerus vorbehalten, sondern auch für Laien gestattet sein. Heiligenverehrung, Fegefeuer und Ablass lehnten sie ab. Der lombardische Zweig der Waldenser stellte zudem die herrschende Sakramentenlehre und -praxis in Frage, sofern sie sich nicht durch das biblische Zeugnis legitimieren ließen. All dies brachte sie schnell in Häresieverdacht.
In England traten gegen Ende des 14. Jahrhunderts die Lollarden hervor, die sich auf das Wirken des Oxforder Theologieprofessors John Wyclif (1330–1384) zurückführten. Auch sie machten die Bibel, die unter ihnen in eigenen englischen Übersetzungen kursierte, zu Ausgangspunkt und Maßstab von Kirchenkritik und Reformforderungen. Wyclif verstand die Kirche als Gemeinschaft der Prädestinierten, weniger als eine hierarchisch strukturierte äußerliche Institution. Ebenso wie die Waldenser mahnten die Lollarden zu einer vita apostolica der Amtsträger. Im Papst erkannten sie geradezu das Gegenbild des in Armut lebenden Christus und sahen in ihm den Antichrist schlechthin. Später äußerten sie auch Kritik an der Heiligenverehrung und der Transsubstantiationslehre, d.h. der Lehre von der Wandlung der Elemente Brot und Wein in Leib und Blut Christi beim Abendmahl. Dies spaltete die Bewegung allerdings, da nun ihr von der herrschenden Lehre abweichender, häretischer Charakter deutlich zu Tage trat. Die Lollarden verloren an Rückhalt und musste im 15. Jahrhundert schwere Verfolgungen erleiden. Wyclifs sterbliche Überreste wurden noch 45 Jahre nach seinem Tod verbrannt.
Anders als die Waldenser und die Lollarden konnten sich die ebenfalls kirchenkritischen Hussiten – so genannt nach Jan Hus (ca. 1370–1415) – in Böhmen und Mähren sogar als eine von Rom unabhängige Kirche etablieren. Sie praktizierten das Abendmahl sub utraque specie, d.h. unter beiderlei Gestalt, und beriefen sich dafür auf das Zugeständnis des Laienkelchs auf dem Basler Konzil von 1433. Man nannte sie auch „Utraquisten“. Ihnen gehörte sogar die Mehrheit der Bevölkerung in Böhmen an. Wie für Valdes und Wyclif stand auch für Hus die Heilige Schrift an erster Stelle. Gleicherweise fand sich die Armutsforderung an die Kirche bei ihm und seinen Anhängern sowie die Kritik an dem eingetretenen moralischen Verfall und an den päpstlichen Primatsvorstellungen.
Kein Wunder, dass man Hus der Häresie bezichtigte. Im Juli 1415 wurde er während des Konstanzer Konzils auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Auch wenn sich die Reformation Martin Luthers nicht aus den hussitischen Strömungen herleitet, brachte der Reformator sich und seine Lehre auf der Leipziger Disputation von 1519 selbst mit Jan Hus in Verbindung. Es ist eine Äußerung Luthers aus dem Jahre 1531 überliefert, in der er folgendes bemerkt: „Johannes Hus hat von mir geweissagt, als er aus dem Gefängnis im Böhmerland schrieb, sie werden jetzt eine Gans braten (denn Hus heißt eine Gans). Aber in hundert Jahren werden sie einen Schwan singen hören, den müssen sie ertragen. Dabei soll es auch bleiben, so Gott will“.
Die Reformation hatte also manche Kritikpunkte und Erneuerungsansätze mit spätmittelalterlichen Reformbewegungen gemeinsam; auch Elemente persönlicher Frömmigkeit, wie sie die Mystik vorgeprägt hatte, setzen sich in der Reformation fort. Dennoch fußt die Reformation auf grundlegenden Neuansätzen. Sie wurden befördert durch einen veränderten Umgang mit der Heiligen Schrift, durch die Kritik an herrschenden Autoritätsstrukturen, durch die massenhafte Verbreitung reformatorischer Ideen mit Hilfe neuer Medien und eine wirkmächtige Rezeption in allen gesellschaftlichen Schichten.
Dies löste solch tiefgreifende Veränderungen sowohl im öffentlichen als auch privaten Raum aus, dass man der Reformation im Rückblick zu Recht eine „epochale“ Bedeutung beimisst und mit ihr die Frühe Neuzeit beginnen sieht. Als ausschlaggebendes Datum dafür feiern wir das Jahr 1517, in dem Martin Luther seine 95 Thesen veröffentlichte. Denn sie setzten nicht nur das Nachdenken über zentrale theologische Fragen in Gang, sondern verstärkten vor allem den Ruf nach Erneuerung von Kirche und Gesellschaft, befördert durch die rasante Verbreitung, die der Inhalt der Thesen und nachfolgende Schriften des Reformators durch den Buchdruck erfuhren. Dem standen weitere reformatorische Ansätze in Europa zur Seite, die mit den Impulsen, die um 1517 von Wittenberg ausgingen, in Interaktion traten.
Ausschlaggebend für die Distanzierung von der überkommenen Tradition und charakteristisch für die Reformation war ihre konsequente Orientierung an vier Kriterien, die uns in den Schlagworten sola scriptura {„nur die Schrift}“, solus Christus {„nur Jesus Christus“}, sola gratia {„nur die Gnade“} und sola fide {„nur der Glaube“} bekannt sind. Selbst wenn es die Reformatoren – Luther ebenso wie Zwingli, Bucer oder Calvin – nicht explizit formulierten – so lagen diese Kriterien ihrer Lehre und ihrer Position im politischen und gesellschaftlichen Miteinander normgebend zugrunde.
Dies hatte natürlich in erster Linie Auswirkungen auf die kirchliche Verkündigung und die individuelle Frömmigkeit. Aber auch die Strukturen und Verantwortungsbereiche von Gesellschaft und Politik waren von den reformatorischen Positionen betroffen, wie wir später noch sehen werden. Zugleich ging mit der Verbreitung der Reformation die vermeintliche religiöse Einheit Europas in der einen christlichen Kirche endgültig verloren. Langfristig entstanden die bis heute existierenden großen christlichen Konfessionen. Das war ein Prozess, der oft mit Staatsbildungsprozessen sowie mit gesellschaftlichen und kulturellen Transformation verbunden war.
Die Reformation war also ein insgesamt äußerst komplexes Geschehen, bei dem zahlreiche Faktoren zusammenwirkten; ein Geschehen, das seinerseits in viele Bereiche hineinwirkte. Wir wollen unsere Frage, was denn nun das eigentlich Reformatorische an der Reformation ist (und sie zu einem Umbruchsphänomen machte), auf drei Ebenen betrachten: zunächst mit Blick auf Kirche und Frömmigkeit, sodann hinsichtlich Gesellschaft und Familie und schließlich mit Bezug auf Recht und Politik.
Der zweite Teil des Vortrages, „Kirche und Frömmigkeit“, von Frau Prof. Dr. Dingel folgt in der Septemberausgabe des Gemeindebriefes. Irene Dingel (*26.4.1956 in Werdohl, NRW) ist Kirchenhistorikerin und evangelische Theologin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Geschichte der Reformation und des konfessionellen Zeitalters.
{Einfügungen der Redaktion}
ÜBER DEN TELLERRAND HINAUS …
Das asiatische Gleichnis von den blinden Männern und dem Elefanten
Es waren einmal fünf weise Gelehrte. Sie alle waren blind. Diese Gelehrten wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt und sollten herausfinden, was ein Elefant ist. Und so machten sich die Blinden auf die Reise nach Indien. Dort wurden sie von Helfern zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten standen nun um das Tier herum und versuchten, sich durch Ertasten ein Bild von dem Elefanten zu machen. Als sie zurück zu ihrem König kamen, sollten sie ihm nun über den Elefanten berichten. Der erste Weise hatte am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel des Elefanten betastet. Er sprach: "Ein Elefant ist wie ein langer Arm." Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten ertastet und sprach: "Nein, ein Elefant ist vielmehr wie ein großer Fächer." Der dritte Gelehrte sprach: "Aber nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule." Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. Der vierte Weise sagte: "Also ich finde, ein Elefant ist wie eine kleine Strippe mit ein paar Haaren am Ende", denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. Und der fünfte Weise berichtete seinem König: "Also ich sage, ein Elefant ist wie eine riesige Masse, mit Rundungen und ein paar Borsten darauf." Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres berührt. Nach diesen widersprüchlichen Äußerungen fürchteten die Gelehrten den Zorn des Königs, konnten sie sich doch nicht darauf einigen, was ein Elefant wirklich ist. Doch der König lächelte weise: "Ich danke Euch, denn ich weiß nun, was ein Elefant ist: Ein Elefant ist ein Tier mit einem Rüssel, der wie ein langer Arm ist, mit Ohren, die wie Fächer sind, mit Beinen, die wie starke Säulen sind, mit einem Schwanz, der einer kleinen Strippe mit ein paar Haaren daran gleicht und mit einem Rumpf, der wie eine große Masse mit Rundungen und ein paar Borsten ist." Die Gelehrten senkten beschämt ihren Kopf, nachdem sie erkannten, dass jeder von ihnen nur einen Teil des Elefanten ertastet hatte und sie sich zu schnell damit zufriedengegeben hatten.
Das Gleichnis scheint in Südasien entstanden zu sein, aber woher das Original stammt ist umstritten. Es wurde dem Sufismus, Jainismus, Buddhis-mus, oder Hinduismus zugeschrieben und in all diesen Glaubens-richtungen verwendet. Auch der historische Buddha verwendet das Beispiel von Reihen blinder Männer, um die blinde Gefolgschaft eines Führers oder eines alten Textes, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde, zu illustrieren. Im Gleichnis steht die Blindheit für nicht in der Lage sein, klar zu erkennen; der Elefant steht für eine Realität. Die Geschichte soll aufzeigen, dass die Realität sehr unterschiedlich verstanden werden kann, je nachdem, welche Perspektive man hat oder wählt. Dies legt nahe, dass eine scheinbar absolute Wahrheit durch tatsächliche Erkenntnis von nur unvollständigen Wahrheiten auch nur "relativ absolut" oder "relativ wahr", d. h. individuell und subjektiv, verstanden werden kann.
Auch Gott bereut und lernt dazu
Text: Anette Kurschus, Ratsvorsitzende der EKD in: chrismon, 26.01.2023
Wir Menschen machen Fehler, und wir irren uns. Wer sich traut, dazu zu stehen, merkt: Das befreit den Kopf und das Herz
„Vom Aufklärungsphilosophen Voltaire wird berichtet, auf einer Kutschfahrt über Land habe ihn ein Freund auf eine Schafherde aufmerksam gemacht: "Sieh mal, die Schafe sind frisch geschoren." Voltaire habe geantwortet: "Zumindest von einer Seite." Diese amüsante Anekdote erzählt der Philosoph Geert Keil in seinem Büchlein "Wenn ich mich nicht irre. Versuch über die menschliche Fehlbarkeit". Sie ist mitnichten ein Beleg für Voltaires Dummheit, sondern beweist im Gegenteil, was für ein heller Kopf er war. Ihm ist bewusst, dass seine Sicht nicht die ganze Wirklichkeit erfasst. Und er rechnet damit, es könne ein unvermutetes Andererseits geben, das er gerade nicht im Blick hat. Er weiß um die blinden Flecken und toten Winkel. Kurzum: Er kennt und akzeptiert seine Fehlbarkeit, und gerade das macht seine Haltung aufklärerisch und seine Urteile vertrauenswürdig.
Was wir gegenwärtig erleben, ist darum paradox: Kaum jemand traut sich, Fehler zu machen. Niemand wagt, einen Irrtum zuzugeben. Stattdessen: weitermachen, Augen zu und durch. Für Menschen in öffentlichen Ämtern und Verantwortung scheint es einem politischen Todesurteil gleichzukommen, eigene Fehler einzugestehen und sie zu korrigieren. Wer es riskiert, gerät sogleich in den Verdacht, herum zu eiern oder ein Wendehals zu sein. Dabei ist Fehlerfreundlichkeit doch eigentlich zutiefst demokratisch. Nur Diktatoren und Autokraten haben immer recht und suchen die Irrtümer ausschließlich bei anderen. Und die Pseudoaufklärer, die in blindem Moralfuror jede noch so kleine oder große, tatsächliche oder vermeintliche Verfehlung anprangern und Auslöschung fordern.
Der Zwang, so tun zu müssen, als irre man sich nie, lähmt und beschämt und blockiert. Was ist da eigentlich los? Na klar machen wir Fehler, das gehört zum Menschsein: Wir irren, wir liegen schief, wir verrennen uns, wir schätzen Situationen falsch ein. Manchmal bleibt das einigermaßen folgenlos, manchmal endet es dramatisch, tragisch, unverzeihlich, ob im Politischen oder im Privaten.
In all den schweren Krisen, die uns gerade beuteln, sind gewaltige Umorientierungen von uns verlangt. Sie nötigen uns, vieles anders zu sehen und anders zu machen und anders zu verstehen als bisher. Sie zwingen dazu, bisherige Sichtweisen und Meinungen zu korrigieren. Womöglich sogar mehrmals. Warum ist das bloß so schwer? Ich beobachte, wie wir es in den großen Nöten der Gegenwart immer weniger verstehen, aufrichtig und menschlich, ernsthaft und barmherzig mit Irrtümern und grundsätzlicher Fehlbarkeit umzugehen. Und zwar sowohl mit unseren eigenen Irrtümern wie mit der Fehlbarkeit anderer.
In der Bibel wird an mehreren Stellen mit großer Unbefangenheit davon erzählt, wie sogar Gott bereut, dazulernt, sich korrigiert und anders entscheidet. So etwa nach der Sintflut, als er beschließt, die Erde nicht noch einmal zu vernichten. Guter Rat für 2023: Schäme dich deiner Irrtümer nicht, trau dich beherzt, es morgen anders zu machen als gestern.
Es sind am Ende ja nicht Algorithmen oder Computerprogramme, die das entscheidende Wort sagen, die entscheidende Tat vollbringen, den entscheidenden Knopf drücken. Es sind Menschen. Hoffentlich solche, die um ihre Fehlbarkeit wissen und Irrtümer eingestehen können. Vielleicht sogar solche, die sich damit im Gebet an Gott wenden. Meine Erfahrung ist: Das hilft. Es macht Kopf und Herz frei, es anders und neu zu versuchen.“
{Anmerkung der Redaktion: Liebe Frau Präses, wie wunderbar wäre es doch, wenn sich einige Ihrer leitenden Mitarbeiter Ihre wahren Worte ebenfalls zu Herzen nähmen; leider lehrt uns die Erfahrung in unserer Gemeinde etwas Gegenteiliges.}