Jesu Auftrag, Kranke zu heilen
05.11.2025 Die Heilungen der Nachfolger und Nachfolgerinnen
Jesus hatte seinen Jüngern den Auftrag gegeben, zu heilen. Die ersten Gemeinden kümmern sich tatsächlich um ihre Kranken, salben sie, beten für sie, besuchen und heilen sie – aber sie reden nicht über den Heilungsauftrag Jesu. Wie kommt das?
Alle frühchristlichen Erzählungen vom Leben und Wirken Jesu heben hervor, dass Jesus Kranke heilte. Die Heilungen zogen in der Geschichte der Auslegungen der Evangelien stets eine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Weniger Aufmerksamkeit wurde hingegen dem Phänomen geschenkt, dass Jesus auch seine Jünger dazu beauftragte, ihrerseits Kranke zu heilen (Mk 6; Mt 10; Lk 9.10; EvThom 14). Doch stammt der Heilungsauftrag überhaupt von Jesus? Könnte der Heilungsauftrag erst im Zusammenhang einer nachösterlichen Gemeindepraxis entwickelt und im Nachhinein zu einem Jesus-Logion stilisiert worden sein? In der Tat bestärkt eine Reihe von Argumenten, dass der Heilungsauftrag im Kern tatsächlich auf Jesus selbst zurückgeführt werden kann. Dies ist kaum strittig.
Was dafür spricht, dass der Heilungsauftrag auf Jesus zurückgeht
Alle frühchristlichen Fassungen des Heilungsauftrags verbinden ihn mit einem Ereignis, welches zu den verhältnismäßig sicheren historischen Grundbeständen der Worte und Taten Jesu gerechnet werden kann: mit der Aussendung der Nachfolger Jesu. Diese Aussendung soll sich bereits in einem verhältnismäßig frühen Stadium des Wirkens Jesu ereignet haben, noch während seines Wirkens in Galiläa. Gleichwohl wird der Heilungsauftrag innerhalb der frühchristlichen Evangelientraditionen in unterschiedlichen Gestalten überliefert. Sie lassen jeweils individuelle erzählerische Einbettungen und theologische Akzentsetzungen erkennen – traditionsgeschichtlich können sie nicht unmittelbar voneinander abgeleitet werden. Und noch etwas spricht dafür, dass der Heilungsauftrag auf Jesus zurückgeht: Er steht in einer inneren Stimmigkeit zu Worten und Taten Jesu, bei denen es außer Frage steht, dass sie zu den Grundbeständen der frühesten Jesustraditionen gehören. Dies gilt einerseits für die Heilungen, die Jesus selbst zugeschrieben wurden. Andererseits steht der Heilungsauftrag den ethischen Dimensionen der Botschaft Jesu nahe die sich unter anderem in der Zuwendung zu sozial minderprivilegierten Menschen dokumentiert. Das vielleicht deutlichste Indiz dafür, dass der Heilungsauftrag prinzipiell auf Jesus selbst zurückgeführt werden kann, lässt sich jedoch an einem anderen Phänomen ablesen. Außerhalb der neutestamentlichen Evangelien begegnen im Spektrum frühchristlicher Schriften kaum direkte Analogien zu den in Mk 6,6b-13; Mt 10,1.7-11; Lk 9,1-6; 10,1-12 überlieferten Instruktionen. Stattdessen lassen sich in den anderen (späteren) frühchristlichen Texten kaum direkte Zitate oder Bezugnahmen auf diesen Heilungsauftrag beobachten. Das heißt, dass dieser Heilungsauftrag Jesus vorbehalten blieb, niemand sonst hätte einen solchen Auftrag in der Vollmacht Gottes weitergeben können.
Vielmehr lässt sich im facettenreichen Spektrum frühchristlicher Zeugnisse ein weiteres eigentümliches Phänomen beobachten. In verschiedenen Texten, welche für sich in Anspruch nehmen, das Leben und die missionarischen Aktivitäten der frühen Nachfolger Jesu darzustellen, begegnen viele Erzählungen von spektakulären Heilungen. Im neutestamentlichen Kanon zeigt sich dies eindrücklich in der Apostelgeschichte. Der Verfasser des lukanischen Geschichtswerks überliefert hier eine Vielzahl von Erzählungen und summarischen Erwähnungen von Heilungen, welche die Apostel und Nachfolger Jesu während ihrer missionarischen Aktivitäten vorgenommen haben sollen, so etwa Petrus, der einen bettelnden Gelähmten am Tempel in Jerusalem heilt:
„Petrus aber sagte: Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher! Und er fasste ihn an der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seine Füße und Gelenke“ (Apg 3,6-7).
Oder Apg 5,12.15-16:
„Durch die Hände der Apostel geschahen viele Zeichen und Wunder im Volk. Selbst die Kranken trug man auf die Straßen hinaus und legte sie auf Betten und Bahren, damit, wenn Petrus vorüberkam, wenigstens sein Schatten auf einen von ihnen fiel. Auch aus den Nachbarstädten Jerusalems strömten die Leute zusammen und brachten Kranke und von unreinen Geistern Geplagte mit. Und alle wurden geheilt.“
In Apg 8,6f ist eine Heilung des Philippus überliefert:
„Und die Menge achtete einmütig auf die Worte des Philippus; sie hörten zu und sahen die Wunder, die er tat. Denn aus vielen Besessenen fuhren unter lautem Geschrei die unreinen Geister aus; auch viele Lahme und Krüppel wurden geheilt.“
Diese Erzählungen können Züge einer legendarischen Überhöhung aufweisen, die für heutige Leser weit eigentümlicher erscheinen können als für die zeitgenössischen Leser der Apostelgeschichte, etwa die Erzählungen vom Schatten des Petrus in Apg 5,15 oder von den Schweißtüchern des Paulus in Apg 19,12, deren Kontakt Heilungen ermöglicht haben sollen. Was sich in der kanonischen Apostelgeschichte andeutet, wird in den außerkanonischen Apostellegenden dann zum Programm: Die wundersamen Heilungen der Apostel werden zu einem integralen Bestandteil der Ausbreitung des frühen Christentums stilisiert. Dabei lassen sich zugleich Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Vorstellungen von anderen Gottheiten und gottgleichen Wunderheilern beobachten, denen besondere Heilungsfähigkeiten zugeschrieben wurden. Dies gilt vor allem für die Auseinandersetzungen mit den facettenreichen Formen einer Verehrung des Halbgottes Asklepios. Dieser ist das prominenteste Beispiel einer Vielzahl von Gestalten, die in der antik-mediterranen Welt als numinose, den Göttern nahestehende Heiler verehrt wurden (u. a. Pindar, Pythische Oden III 1–3). Asklepios wird als eine Mittlerfigur verstanden, die den Menschen das göttliche Wissen über die Kunstfertigkeit des Heilens nahegebracht hat. Entsprechend sind die praktizierten Therapieformen an Asklepios-Heiligtümern ein eindrückliches Beispiel für die sukzessive Entwicklung eines antiken Heilwesens. Die christlichen Erzählungen von wundersamen Heilungen der Nachfolger Jesu treten mit diesen Traditionen in Konkurrenz und tragen oftmals ähnlich legendarische Züge wie entsprechende Erzählungen über nichtchristliche Heiler (vgl. die Anmerkungen des dem Christentum gegenüber sehr kritisch eingestellten Philosophen Kelsos.
Die „Verdrängung“ des Heilungsauftrags in den ersten Gemeinden
Den ausgestalteten Legenden über die Heilungen der Apostel gegenüber begegnen in denjenigen Schriften, welche konkrete Lebensrealitäten frühchristlicher Gemeinden wiederspiegeln, lediglich indirekte Anklänge an den Krankenheilungsauftrag Jesu – und Jesu Wunderheilungen werden überhaupt nicht erwähnt. Wie ist das zu erklären? Immerhin müssen die Evangelientraditionen in den frühen Gemeinden bekannt gewesen sein. Welchen Stellenwert hatte der jesuanische Heilungsauftrag überhaupt für die frühen Christen, wenn er in den Gemeindebriefen nicht erörtert wird? War der Auftrag nur an die Apostel und Jünger Jesu ergangen? Wie aber setzt er sich dann fort – über die Zeiten und Räume? Dieser Sachverhalt kann an der paulinischen Erwähnung der Gabe der Krankenheilung und an den Instruktionen zum Umgang mit kranken Menschen erläutert werden, die im Jakobusbrief überliefert werden. Zunächst einen Blick auf den ersten Korintherbrief. In 1 Kor 12,4-11 benennt Paulus verschiedene Geistesgaben, welche das Leben einer christlichen Gemeinschaft prägen können. Dabei erwähnt er unter anderem die Gabe einer Krankenheilung:
„Dem einen wird vom Geist die Gabe geschenkt, Weisheit mitzuteilen, dem andern durch den gleichen Geist die Gabe, Erkenntnis zu vermitteln, dem dritten im gleichen Geist Glaubenskraft, einem andern – immer in dem einen Geist – die Gabe, Krankheiten zu heilen, einem andern Wunderkräfte, einem andern prophetisches Reden, einem andern die Fähigkeit, die Geister zu unterscheiden, wieder einem andern verschiedene Arten von Zungenrede, einem andern schließlich die Gabe, sie zu deuten“ (1 Kor 12,8-12).
Dass diese Befähigung auf einem Auftrag Jesu basiert, wird in diesem Zusammenhang nicht erwähnt. Auch erläutert Paulus in keinem seiner Briefe genauer, in welcher Weise solche Heilungen konkret praktiziert wurden. Umso bemerkenswerter ist es, dass Paulus in der Charismen-Liste in Röm 12,3-8, die 1 Kor 12,4-11 nahesteht, die Gabe einer Krankenheilung überhaupt nicht erwähnt. Dies scheint dafür zu sprechen, dass eine Gemeinde im paulinischen Sinne sich nicht durch ihre Wundercharismen aus(zeichnet). Wunderheiler oder -heilerinnen in den eigenen Reihen zu haben, scheint also für die Identität der ersten Gemeinden nicht vorrangig wichtig gewesen zu sein. Ein vergleichbares Phänomen lässt sich im Jakobusbrief beobachten, der am Ende des 1. Jh. (vermutlich in Alexandria) verfasst wurde. Jak 5,14f formuliert Instruktionen zum Umgang mit kranken Mitgliedern einer christlichen Gemeinschaft:
„Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.“
Hierbei handelt es sich um die eingehendsten neutestamentlichen Anweisungen, wie sich eine christliche Gemeinschaft gegenüber einem erkrankten Mitglied verhalten soll. Dieser Text und die in ihm formulierten Anweisungen wurden in der Geschichte der Kirche vielfach aufgenommen und praktiziert.
Die Instruktionen sind in einen Argumentationszusammenhang eingebettet, in welchem der Verfasser des Jakobusbriefs seine Adressaten zu einem angemessenen Verhalten zueinander auffordert. Während in Jak 5,14 erläutert wird, wie man sich im Falle der Erkrankung eines Gemeindemitgliedes konkret verhalten soll, wird in Vers 15 zur Sprache gebracht, welche Konsequenzen dies nach sich zieht. Zunächst wird betont, dass den Presbytern die Fürsorge für Kranke obliegt. Sie lassen dem Kranken auf zweifache Weise die heilenden Kräfte Gottes zuteilwerden, nämlich einerseits durch ein Fürbittgebet, andererseits durch eine Salbung mit Öl. Daraufhin wird beschrieben, welche soteriologischen (also im religiösen Sinn rettenden) Folgen dies für den Kranken hat. Nachdem zunächst generell attestiert wird, dass ein „Gebet des Glaubens“ zur Heilung des Kranken führen wird, hebt der Folgevers hervor, dass der Kranke durch den Herrn „aufgerichtet“ wird. Die Aussageeinheit kulminiert in der Feststellung, dass dem Kranken auch die von ihm begangenen Sünden vergeben werden. Diese Wendung impliziert keinesfalls die Vorstellung, dass die Erkrankung die Konsequenz eines sündhaften Vergehens ist.
Auch wenn nicht eindeutig geklärt werden kann, ob dieser Text eine bereits vorhandene Praxis reflektiert oder ob durch ihn ein entsprechendes Verhalten initiiert werden soll, kann ein Aspekt festgehalten werden, der für die vorliegende Fragestellung, auf welche Weise der Heilungsauftrag Jesu für die Gemeinden wichtig war, zentral ist: Jak 5,14f ist außerhalb der Evangelien derjenige neutestamentliche Text, in welchem am deutlichsten das Verhalten gegenüber erkrankten Gemeindegliedern reflektiert wird. Doch auch wenn Jak 5,14f einen gemeinschaftlichen Umgang mit Kranken skizziert, der den Erzählungen von Heilungen Jesu nahesteht, liegt ein expliziter Rekurs auf ein Gebot Jesu nicht vor.
Statt Wunderheilungen nun Krankenfürsorge
Diese Phänomene lassen sich auch an vielen vergleichbaren Traditionen beobachten, die in außerkanonischen Schriften des frühen Christentums überliefert werden. So wird zum Beispiel im Rahmen eines ritualisierten Gebets, welches im ersten Clemensbrief (90er-Jahre 1. Jh.) überliefert wird (vgl. 1 Clem 59-61), eine Fürbitte für Kranke formuliert (1 Clem 59,4). Von einem Auftrag der stadtrömischen Gemeindeglieder zu einer Heilung Kranker ist hingegen nicht die Rede. Stattdessen wird immer deutlicher erkennbar, dass eine karitative Fürsorge für Kranke zu einem Identitätsmerkmal eines christlichen Lebensethos wird. So hebt Polycarp von Smyrna (ca. 69–155 nC) in seiner Funktion als Bischof hervor, dass in christlichen Gemeinschaften die Krankenfürsorge dem Amt des Presbyters zugeordnet ist (vgl. Polyk, Phil. 6,1). Anders verhält es sich mit der sogenannten Traditio Apostolica, welche für die vorliegende Fragestellung in mehrfacher Hinsicht von Relevanz ist. Bei diesem (vermutlich zu Unrecht Hippolyt von Rom zugeschriebenen) Werk handelt es sich um eine Zusammenstellung liturgischer und ekklesiologischer Anweisungen der unter anderem auch verfügt wird, wie Bischöfe und Diakone die Organisation einer Krankenfürsorge in ihren Amtsbereichen zu garantieren haben. Auch wenn die ältesten Traditionsstufen dieses Werkes nur schwer rekonstruiert werden können, so ist erkennbar, dass der Krankenfürsorge eine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dabei wird vor allem dem Amt des Diakons die Fürsorge für Kranke übertragen. Diakone sind dafür verantwortlich, dass Kranke registriert und dem Bischof gemeldet werden (Traditio Apostolica 34). Letzterem kommt die Aufgabe zu, die Kranken gegebenenfalls zu besuchen. Auch im Zusammenhang der Instruktionen zur Verteilung des Abendmahls wird hervorgehoben, dass der Diakon im Falle einer Abwesenheit von Presbytern „eifrig den Kranken das Zeichen“ geben soll (Traditio Apostolica 24). Auch wenn nicht erläutert wird, was mit diesem Ritus genau intendiert ist, so ist von einer Heilung des Kranken nicht die Rede. Gleiches gilt für die Erwähnung der Kranken im Rahmen der Instruktionen zum Umgang mit Taufkandidaten (Traditio Apostolica 20). Letztere sollen während der Dauer eines Katechumenats erweisen, dass sie „alle Arten von guten Werken“ vollbracht haben. Dabei wird neben der Tätigkeit der Fürsorge für Witwen der Besuch von Kranken eigens hervorgehoben.
Die skizzierten Ausführungen der Traditio Apostolica lassen erkennen, in welcher Weise eine karitative Fürsorge für Kranke zu einem grundlegenden Merkmal eines christlichen Lebensethos werden konnte. Entsprechende Entwicklungen dokumentieren eine Vielzahl weiterer frühchristlicher und patristischer Zeugnisse unterschiedlichster Art, etwa Predigten, apologetische Argumentationen, Erörterungen über den Beruf des Arztes und über Entwicklungen der zeitgenössischen Medizin etc. In diesen Zusammenhängen lassen sich auch unterschiedliche Formen einer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der hippokratischen Traditionen beobachten, welche die bedeutendsten Quellen der abendländischen Medizingeschichte verkörpern. Dieser Aspekt soll durch zwei Beispiele illustriert werden, die beide aus dem frühen Mönchtum stammen.
Verschiedene Zeugnisse des eremitischen Mönchtums dokumentieren die Vorstellung, dass Eremiten und Asketen die Gabe einer Heilung Kranker verliehen wird, wenn sie beständig ein der Armut Jesu entsprechendes Leben führen. Gleichwohl wird auch in diesem Zusammenhang hervorgehoben, dass die tätige Nächstenliebe und die karitative Zuwendung zu Kranken eine höhere soteriologische Wirkung habe als eine asketische Lebenshaltung. So heißt es in den Apophthegmata Patrum 1175:
„Wenn derjenige, welcher sechs Tage fastet, sich selbst an seiner Nase aufhängt, wird es für ihn nicht möglich sein, dem zu gleichen, der dem Kranken dient“.
Die Bedeutung einer karitativen Fürsorge wird nicht nur in vielen weiteren Zeugnissen eines eremitisch-monastischen Lebensideals hervorgehoben, sondern auch in Zeugnissen des koinobitischen Mönchtums. Exemplarisch sei verwiesen auf die Ordensregel des Benedikt von Nursia (480–547 nC):
„Die Sorge für die Kranken ist eine vorrangige und höchste Pflicht. Man diene ihnen wirklich wie Christus. Er selbst hat ja gesagt: ,Ich war krank und ihr habt mich besucht.‘ Und: ,Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan, das habt ihr mir getan.‘“ (Regula Benedicti 36,1-3).
Derartige Instruktionen können als repräsentative Beispiele für die Wirkungsgeschichte des Heilungsauftrags Jesu im frühen Christentum verstanden werden. Ebenso wie bei vielen zuvor angeführten Texten und Traditionen werden die in Mt 10,7f; Lk 9,1f.6; 10,9 etc. überlieferten Worte Jesu nicht explizit rezipiert oder zitiert. Es wird jedoch auf Traditionen verwiesen, die bereits im frühen Christentum als indirekte Interpretation des Heilungsauftrags verstanden werden können. So wird zum Beispiel auf die entsprechenden Facetten der matthäischen Endgerichtsrede Mt 25,36.40 Bezug genommen:
„Ich war nackt und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war krank und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis und ihr seid zu mir gekommen. [...] Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Eine vergleichbare Rezeptionsgeschichte lässt sich zum lukanischen Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-37) beobachten, welches seinerseits als eine Interpretation des Krankenheilungsauftrags und des Liebesgebots Jesu verstanden werden kann. In dieser Hinsicht können die zitierten Traditionen als Paradigma einer Wirkungsgeschichte des Heilungsauftrages Jesu verstanden werden, in welcher vor allem die karitative Fürsorge für Kranke zu einem wesentlichen Merkmal eines christlichen Lebensethos erklärt wird.
[Prof. Dr. Enno Edzard Popkes ist Professor für Geschichte und Archäologie des frühen Christentums und seiner Umwelt an der Universität Kiel.]






