Volle Kirchen an Weihnachten täuschen: Beide großen Konfessionen werden auch in diesem Jahr einen neuen Austrittsrekord verzeichnen. Der Trend lässt sich nur durch eine Machtverschiebung stoppen – hin zur Basis.
Von den wenigen, die noch in die Gottesdienste kommen, fragt sich mittlerweile so mancher: Was mache ich hier eigentlich? Kann ich es noch mit meinem Gewissen vereinbaren, an einer Veranstaltung teilzunehmen, deren Veranstalter seit Jahren eine Menge dafür getan haben, jedes Vertrauen zu verspielen?
Echte Reformen? Nicht mit Papst Franziskus!
Zumindest viele Katholikinnen und Katholiken waren in den letzten Monaten mit dieser Frage konfrontiert. Denn ihre Kirche hat es ihren Mitgliedern in diesem Jahr wirklich nicht leichtgemacht: Gegen den Kölner Erzbischof und Kardinal Rainer Maria Woelki ermittelt die Staatsanwaltschaft. Trotzdem lässt ihn der Papst weiter im Amt. Der Synodale Weg – der Reformprozess der deutschen Katholischen Kirche – steckt in einer Sackgasse. Echte Reformen werden da entweder von einer bischöflichen Sperrminorität blockiert oder spätestens in Rom abgeschmettert. Klarer als je zuvor hat Papst Franziskus in diesem Jahr deutlich gemacht, was er von einer demokratisch verfassten Kirche ohne Geschlechtsdiskriminierung hält: nämlich nichts. Es gebe ja schon eine sehr gute evangelische Kirche in Deutschland. Man brauche nicht zwei von ihnen. So zitierte Georg Bätzing, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, vor wenigen Monaten den Papst nach einem persönlichen Gespräch mit ihm über deutsche Reformideen. Nein: Es ist völlig klar: Mit diesem Papst wird es keine Frauen als Priesterinnen geben, keine Mitbestimmung der Basis bei Bischofswahlen und auch der Zwangszölibat für Priester wird bleiben – und mit ihm die patriarchalische, sexualitätsfeindliche Lehre der Katholischen Kirche, die seit Jahrhunderten einen perfekten Nährboden für sexualisierte Gewalt bildet. Kein Wunder, dass die Menschen dieser Kirche in Scharen davonlaufen.
Die EKD ist auch nicht besser
Mit einer Einschätzung hat der Papst allerdings Unrecht: So gut, wie er glaubt, ist die Evangelische Kirche in Deutschland nicht – jedenfalls nicht aus Sicht ihrer Mitglieder. 580.000 Mitglieder weniger in 2023 sprechen eine deutliche Sprache. Die Evangelische Kirche arbeitet Missbrauchsfälle in ihren eigenen Reihen keineswegs besser auf als die Katholische - die Causa Kurschus hat das medienwirksam dokumentiert. Da wird dann auch mal der Betroffenenbeirat einseitig ausgesetzt. Und heute muss – von kirchlich Beschäftigten einmal abgesehen – niemand mehr in der Kirche bleiben, der oder die nicht bewusst dahintersteht. Das ist in einer pluralen, offenen Gesellschaft eben so.
Persönlicher Kontakt zu Pastoren und Pfarrern zählt
Eines aber sollte den Kirchenoberen zu denken geben: Untersuchungen haben gezeigt, dass Menschen viel seltener aus der Kirche austreten, wenn sie einen persönlichen Kontakt zu den Pastoren und Pfarrern vor Ort haben, wenn sie das Engagement direkt spüren. Die logische Konsequenz daraus wäre eigentlich, die örtlichen Gemeinden zu stärken. Tatsächlich aber geschieht das Gegenteil. Pfarrstellen werden gestrichen, Gemeinden zusammengelegt – und das in einer Zeit, in der die Kirchensteuereinnahmen dank der guten Konjunktur der letzten Jahre fleißig sprudelten. Von denen aber kommt nur gut ein Drittel bei den Gemeinden an. Der Rest fließt an die Landeskirchen und Bistümer beziehungsweise andere übergeordnete Stellen. Das ist ein Missverhältnis, das dringend umgedreht gehört.
Die Amtskirchen wären gut beraten, jetzt, da sie noch ausreichend Geld haben, massiv in ihre Basis zu investieren und ihren amtskirchlichen Überbau zu verkleinern. Das wäre eine echte Machtverschiebung. Denn: Auch in der Kirche ist der wichtigste Machtfaktor das Geld.