„Man kann nicht Christ sein ...
10.12.2025 ... und den ,Kampf gegen rechts‘ führen“
In der Bibel ist „rechts“ die gute Seite, heute ist die politische Zuschreibung „rechts“ negativ belastet. Darüber sprach IDEA-Leiterin Daniela Städter mit dem Historiker Prof. Peter Hoeres, Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg (In: IDEA DAS CHRISTLICHE SPEKTRUM 45.2025). Er hat sich in seinem neuesten Buch mit der Rechts-links-unterscheidung befasst und sieht im „Kampf gegen rechts“ eine gefährliche Vereinfachung.
[Peter Hoeres: Rechts und links – Zur Karriere einer folgenreichen Unterscheidung in Geschichte und Gegenwart. 216 Seiten, ISBN 978-3-9873-7043-4, 24 Euro]
IDEA: Herr Prof. Hoeres, Sie schreiben, dass sich die meisten Menschen problemlos auf einer Rechts-Links-Skala einsortieren können: Wo sortieren Sie sich ein?
Prof. Hoeres: Ich habe das Buch als Wissenschaftler und Historiker geschrieben und bin gespannt, wie Ihre Leser mich einsortieren. Ein Hinweis vielleicht: Ich bin katholisch, setze mich für Wissenschaftsfreiheit ein und gendere nicht.
IDEA: Ihnen zufolge geht die uns bekannte Rechts-Links-Unterscheidung weit über das Politische hinaus und hat tiefere Wurzeln.
Prof. Hoeres: Eine sehr wichtige ist die menschliche Orientierung im Raum: oben und unten, rechts und links. Orientierung verläuft einerseits über den Lauf der Sonne, die im Osten aufgeht und damit rechts verortet wird, und andererseits über die bei den meisten Menschen etwas stärker ausgeprägte rechte Hand.
IDEA: Viele Kirchen sind „geostet“ – der Altar befindet sich im Osten, wo die Sonne aufgeht, der Eingang im Westen. Wer dann im Gottesdienst nach vorne blickt, blickt, so schreiben Sie, sinnbildlich dem kommenden Christus, dem „Licht der Welt“ entgegen. Was kann der Osten dafür, dass er „rechts“ liegt?
Prof. Hoeres: Wenn man sich nach der Sonne ausrichtet – wie es auf der nördlichen Hemisphäre üblich ist –, liegt der Osten gedanklich rechts. Dort geht nicht nur die Sonne auf, sondern da lag auch das Paradies, und von dort wird Christus erwartet. Deshalb wird die rechte Seite oft mit Positivem und Heiligem verknüpft – es ist die gute Seite.
IDEA: Die Ostung ist ein wichtiges architektonisches und liturgisches Symbol. Ist das nicht eine Überinterpretation, es für eine Untermauerung der These zu nutzen, dass es historische Präferenzen für „rechts“ im Sinne von positiv, gut und schön gibt?
Prof. Hoeres: Nein, denn Vergleichsstudien zeigen, dass das Rechts-Links-Muster religions- und kulturübergreifend ist: im Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus und in ethnologischen Feldforschungen bei indigenen Völkern. Überwiegend ist die rechte Seite mit Positivem und Heiligem verbunden, die linke mit Negativem bis Dämonischem. Muslime betreten mit dem rechten Fuß die Moschee, der Ehrenplatz liegt rechts, wir begrüßen uns mit der rechten Hand. Das spiegelt sich in vielen Sprachen, z. B. im Deutschen, wenn wir von „linkisch“ reden – die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
IDEA: Die rechte Seite gilt im Alten Testament als der ehrenvolle Platz (Psalm 110,1), in 2. Mose 15,6 steht: „Herr, deine rechte Hand, herrlich an Kraft, deine rechte Hand, Herr, zerschlägt den Feind.“ Und in Prediger 10,2: „Des Weisen Herz ist zu seiner Rechten, aber des Toren Herz ist zu seiner Linken.“ Welche These leiten Sie daraus ab?
Prof. Hoeres: Von der Bibel über Gemälde, z. B. vom Jüngsten Gericht bis zum Kirchenbau, ist die rechte Seite klar privilegiert, heilig. Zur rechten Seite Gottes sitzt der Menschensohn. Der „gute Schächer“, der sich noch am Kreuz bekehrt, hängt auf der rechten Seite von Jesus. Und die linke Seite ist eben das Negative, Böse, wo der Herr am Jüngsten Tag laut Matthäus (25,33 ff.) die Böcke, die Verfluchten, stellen wird. Ich will mit meinem Buch diese Hintergründe wieder in Erinnerung rufen, denn vieles machen wir uns nicht bewusst: Der Priester geht rechts um den Altar herum, jeder nimmt das Weihwasser am Eingang einer katholischen Kirche mit der rechten Hand, die Kniebeuge wird mit rechts gemacht.
IDEA: m Glaubensbekenntnis beten wir: „Er sitzt zur Rechten Gottes.“ Ist das wörtlich gedacht oder symbolisch?
Prof. Hoeres: Beides. Frühchristliche Frömmigkeit ist ausgesprochen sinnlich-konkret; Stephanus schaut Christus zur Rechten des Vaters (Apg 7,55). Martin Luther greift das in der Schrift von 1523 über die weltliche Obrigkeit auf („rechte“ und „linke“ Hand Gottes): rechts die geistliche Sphäre, links die weltliche Ordnung mit Autorität und Schwert. Das zeigt, wie präsent die Unterscheidung blieb.
IDEA: Der Deutschlandfunk schreibt, Sie nähmen auch eine Debatte auf, die „innerhalb der Neuen Rechten“ seit den 90er Jahren virulent sei, nämlich die Frage, ob Hitler eigentlich rechts war. Warum ist es aus Ihrer Sicht unterkomplex, die Nationalsozialisten nur als „rechts“ zu bezeichnen?
Prof. Hoeres: Das Thema ist wesentlich älter als die Neue Rechte und wurde von Historikern wie Sebastian Haffner, Joachim Fest oder Arnulf Baring aufgebracht. Manche Merkmale des Nationalsozialismus weisen sozialistische Elemente auf – etwa Vorgaben für die Wirtschaft und soziale Maßnahmen. Die Nazis versuchten zugleich, die Polarität von rechts und links zu überwinden und eine totalitäre Volksgemeinschaft zu schaffen, wo dann aber natürlich sogenannte „rassisch Minderwertige“ ausgeschlossen waren. Mein Kollege Götz Aly hat detailliert herausgearbeitet, dass die Politik der Nationalsozialisten auch sozialpopulistische und linke Elemente aufweist.
IDEA: Zum Beispiel?
Prof. Hoeres: Die Nationalsozialisten gaben der Politik Vorrang vor der Wirtschaft. Mit Spekulationssteuern haben sie versucht, die Unternehmensgewinne zu begrenzen. Es gab Wohltaten wie Mietpreisstopp, Krankenversicherungen für Rentner, Steuerbefreiung von Überstundenvergütung, Kindergeld, Mieter- und Kündigungsschutz – ein klassisches Arsenal linker Wohlfahrtspolitik. Und zweitens ist wichtig, dass sie sich eben auch sehr stark selbst als Sozialisten verstanden haben, die die christliche Religion als eine Art „Opium für das Volk“ ablehnten und die „Volksgemeinschaft“ als eine Gemeinschaft der Gleichen wollten, also egalitär.
IDEA: Wie haben die Zeitgenossen die Nationalsozialisten wahrgenommen?
Prof. Hoeres: Das ist erstaunlicherweise noch nicht erschöpfend erforscht. Viele konservative Christen sahen die Nazis als Jakobiner und Bolschewisten an. Als eine Bewegung der Unterschicht, die sie – auch wegen deren Gottlosigkeit – entsprechend abgelehnt haben. Die Kommunisten wiederum haben mit der Sozialfaschismusthese praktisch alles außerhalb des Kommunismus als Teil des Faschismus angesehen – auch die SPD. Diese inflationäre Verwendung kommt aktuell wieder. Deswegen haben die Begriffe „Faschismus“ oder „Nazi“ heute jeglichen analytischen Wert verloren. Und es ist eine große Verharmlosung sowohl des historischen Nationalsozialismus als auch der Neonazis.
IDEA: Heute hat auch die Aussage „Kampf gegen rechts“ Konjunktur. Seit wann ist das so?
Prof. Hoeres: Das lässt sich ziemlich genau verorten – mit dem „Aufstand der Anständigen“ im Jahr 2000. Anlass war pikanterweise ein Anschlag auf die Düsseldorfer Synagoge, der aber nicht von Rechtsextremen ausgeführt wurde, sondern von zwei arabischstämmigen Männern, die damit gegen die israelische Armee und deren Vorgehen gegenüber den Palästinensern ein Zeichen setzen wollten. Das ist aber auch in der Rückschau nie revidiert worden. Die mentale Landkarte, dass das Böse rechts ist, ist fest verankert.
IDEA: Wer sich im „Kampf gegen rechts“ engagiert, will nach eigenen Angaben die von der AfD bedrohte Demokratie retten. Sie wiederum sind überzeugt: Das Ausgrenzen von einem Viertel der Bevölkerung, das die AfD wählt, zerstört die Demokratie. Ist das nicht naiv gegenüber radikalen Strömungen in der AfD?
Prof. Hoeres: Der „Kampf gegen rechts“ geht doch weit über die AfD hinaus. Auf vielen Demonstrationen wurde z. B. auch gegen die CDU demonstriert. Zudem gab es den „Kampf gegen rechts“ schon lange vor der AfD. Die wurde erst 2013 gegründet. Das ist also nicht miteinander verzahnt. In der AfD muss man vieles kritisch sehen. Aber man kann weder diese Partei noch deren Wähler komplett ausgrenzen. Das ist ein unchristliches Verhalten und führt zu der Verfestigung der Situation. Was hat der „Kampf gegen rechts“ denn im Hinblick auf die AfD gebracht, außer einer Verdopplung der Stimmenzahl, im Osten sogar bis hin zu 40 %? Wer überzeugt ist, dass diese Partei nationalsozialistisch ist, sollte sofort versuchen, sie zu verbieten, und das ernsthaft betreiben
IDEA: Ist die AfD nationalsozialistisch?
Prof. Hoeres: Kernelemente des Nationalsozialismus waren die Führerherrschaft, ein eliminatorischer Antisemitismus, ein expansionistisches Lebensraumkonzept und eine Schläger-Truppe als Parteiarmee. Diese vier Punkte kann ich bei der AfD nicht entdecken. Aus den Reihen der Linksfraktion kommen übrigens Äußerungen, die erstens viel stärker auf Gewalt zielen und zweitens auch viel stärker gegen Israelis und Juden gerichtet sind. Aber auch da kann ich doch nicht sagen: Das sind alles Stalinisten. Ein bisschen Differenzierungspotenzial müssen wir uns bewahren, wenn die Gesellschaft nicht komplett auseinanderfliegen soll.
IDEA: Sie schreiben: „Die Herrschaft des Verdachts identifiziert alle Andersdenkenden als rechts = rechtsextrem, mit der Assoziation nationalsozialistisch.“ Damit kritisieren Sie auch die Kirchen. Aus der Sicht vieler Kirchenvertreter ist das nicht „Herrschaft des Verdachts“, sondern erwiesen.
Prof. Hoeres: Wenn sich eine Kirche nicht mehr als Integrationsinstanz versteht, die versucht zu befrieden, sondern stattdessen politisch spaltet – wie es etwa der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing tut –, dann verfehlt sie ihren sozialen Auftrag.
IDEA: Das ist ein heftiger Vorwurf.
Prof. Hoeres: Viele Kirchenfunktionäre sind – das gilt auch für Reinhard Kardinal Marx – nicht auf der Seite der Opfer, wenn sie nach jedem grauenhaften Anschlag auf Frauen und Kinder wie in Aschaffenburg oder Kandel oder an so vielen anderen Orten sofort reflexartig dem „Kampf gegen rechts“ beitreten. Sie lassen die Opfer damit im Stich. Sie machen mit. Aufgabe und Verantwortung der Kirchenfunktionäre wäre, zu integrieren und zu versöhnen und bei der Spaltung der Gesellschaft nicht auch noch mitzumachen.
IDEA: Wobei haben sie mitgemacht?
Prof. Hoeres: Sie haben sich keine Gedanken über die Opfer gemacht, wenn die nicht in ihr politisches Konzept passten. Von der Kölner Silvesternacht 2015 bis zu den Gruppenvergewaltigungen und den von ungeprüft hereingelassenen sogenannten Flüchtlingen getöteten Opfern. Es wäre ihre Aufgabe gewesen, hier an der Seite der Opfer zu stehen und zu versuchen, künftigen Gewalttaten entgegenzuwirken. Da haben die Repräsentanten der beiden Kirchen versagt. Eine Folge ist die gigantische Austrittswelle. Im Bistum Limburg hat der Bischof in den vergangenen drei Jahren keinen einzigen Priester mehr geweiht. Es ist ein absoluter Tiefpunkt der deutschen Kirchengeschichte, der da aktuell zu besichtigen ist.
IDEA: Aber Austritte und ausbleibende Priesterweihen haben doch auch viele andere Gründe.
Prof. Hoeres: Natürlich kommt immer vieles zusammen. Aber im Globalen Süden erleben die katholische oder die anglikanische Kirche einen großen Aufschwung. Hierzulande fühlen sich die Leute in ihren Alltagssorgen verraten und von vielen leitenden Kirchenvertretern im Stich gelassen und stattdessen gegängelt.
IDEA: Ich zitiere noch mal den Deutschlandfunk: „Zum Ende seines Essays verfällt Hoeres zunehmend in einen alarmistischen Ton. Der ,Kampf gegen rechts‘ führe zu einer ,Zerstörung der bürgerlichen Freiheit‘; demjenigen, dem rechte Positionen vorgeworfen werden, würden ,jegliche Menschenrechte zumindest implizit abgesprochen‘. Wie durch gesellschaftliche Kritik – selbst wenn sie scharf geäußert wird oder zur sozialen Ächtung führt – jegliche Menschenrechte verletzt werden, erläutert Hoeres leider nicht weiter.“ Jetzt ist die Chance, das zu tun. Warum zerstört der „Kampf gegen rechts“ bürgerliche Freiheiten?
Prof. Hoeres: Weil diejenigen, die als rechts gelten, zunehmend zum Freiwild werden. Sie werden sozial ausgegrenzt – teils schon, wenn sie nur Kontakt zu Rechten haben. Eine Influencerin etwa wurde heftig angefeindet, weil ihr Mann sich einmal pro AfD äußerte; ihre Existenz stand auf dem Spiel. Bei Pfarrgemeinderatswahlen werden Menschen ausgeschlossen, die angeblich rechts sind. Büros, Privathäuser und Autos werden in Brand gesetzt und zerstört, Menschen angegriffen und schwer verletzt. Das zerstört das bürgerliche Fundament der Demokratie. Die Voraussetzungen, die sie laut Ernst-Wolfgang Böckenförde nicht selbst garantieren kann, werden damit untergraben. Es entsteht eine Ausgrenzung bis ins Privatleben – ähnlich wie beim Antikommunismus der 50er Jahre, vor allem dem McCarthyismus in den USA. Das war damals falsch und ist heute falsch.
IDEA: Was sollten die Kirchen tun?
Prof. Hoeres: Sie könnten einen dieser Hunderten von Aufrufen, die dauernd auf einen einprasseln, zu einem Aufruf nutzen, das Gespräch, das Gemeinsame, das Christliche zu suchen. Das hätte auch einen mäßigenden Effekt auf die Leute auf der ausgegrenzten Seite, die man damit in Verantwortung nehmen würde.
IDEA: Das Christliche bei der AfD zu suchen würde sich ja aus Sicht vieler Kirchenvertreter beißen.
Prof. Hoeres: Die Kirche kuschelt doch auch mit vehementen Abtreibungsbefürwortern bei den Grünen und Linken. Zumindest in der katholischen Kirche verbietet sich das ganz klar, Abtreibung ist von Exkommunikation bedroht. Da hat man überhaupt keine Probleme, Gemeinsamkeit zu suchen. Auf der rechten Seite hingegen schon – ein absoluter Selbstwiderspruch. Mein Logikprofessor hat immer gesagt: „Der liebe Gott hat leider vergessen, logische Fehlschlüsse mit Schmerzempfinden zu koppeln.“ Dann würden im Moment sehr viele Leute vor Schmerz schreien.
IDEA: Möglicherweise schreien jetzt auch einige, wenn sie das Interview lesen ... Sie meinen, dass Rechtsbürgerliche, die sich radikalisieren, nicht beim Nationalsozialismus rauskommen. Warum?
Prof. Hoeres: Viele Journalisten und Politiker haben eine Achse im Kopf: Je weiter man sich von links wegbewegt, desto stärker kommt man beim Nationalsozialismus an. Aber der Zustrom bei der NSDAP kam auch von Linksaußen. Einheiten des Roten Frontkämpferbundes und der KPD sind geschlossen übergetreten nach der Machtergreifung der Nazis, ebenso Liberale und leider auch Christen. Und auf der anderen Seite haben auch Konservative – also Rechte – Widerstand geleistet. Der erfolgversprechendste Versuch des Widerstands vom 20. Juli 1944 war von Leuten getragen, die man aufgrund ihrer Ideologie heute sehr weit rechts einordnen müsste. Menschen können von jeder politischen Plattform aus totalitär werden. Aber historisch ist es falsch, hier eine lineare Rutschbahn zu sehen.
IDEA: Was ist Ihr Appell?
Prof. Hoeres: Die Leute müssen zur Besinnung kommen. Wenn sich diese Polarisierung gegen rechts so fortentwickelt, werden wir Zustände bekommen wie in den USA. Wir müssen Grenzen ziehen und den Rechtsstaat durchsetzen. Aber den Kampf mit der Ausgrenzung von ganzen Menschenkohorten zu führen ist falsch. Als Christ verbietet sich das von selbst. Man kann nicht Christ sein und den „Kampf gegen rechts“ führen.


