Ob einseitiges Engagement für „Queers“, naiver Kampf gegen Rassismus oder unsachlicher Protest gegen eine Migrationswende – zumindest die evangelische Kirche ist eine Zumutung für Bürgerliche. Trotzdem halten diese ihrer Kirche oft die Treue. Denn sie sind, was ihre Funktionäre nur vorgaukeln: tolerant und duldsam.
Von Till-R. Stoldt, WELT Online am 15.02.2025
“Die linke Kirche produziert noch wahre Helden – nämlich die Nichtlinken in der Kirche. Seit Jahrzehnten tendieren vor allem die evangelischen Landeskirchen in den großen politischen Streitfragen zu Rot-Grün – von der Nachrüstungsdebatte der 1980er-Jahre bis zum aktuellen Streit um Zuwanderungsbegrenzung. Ebenso lang beklagen CDU, CSU und FDP vergeblich diesen Linkstrend. Und trotzdem bleiben die wackeren Bürgerlichen ihrer Kirche (oft) treu. Fast möchte man sagen: Sie nehmen ihr Kreuz auf sich (ein Kreuz namens rot-grüne Kirchenfunktionäre) und beweisen in der Praxis genau die Toleranz, Weite und Menschlichkeit, für die sich ihre Funktionäre in der Theorie stets loben.
Das Übliche: Gender, LGBTQIA+, Antirassismus, Schimpfen über die Union
[Anfang Februar 2025] bot die Landessynode der evangelischen Kirche im Rheinland das jüngste Beispiel einer politaktivistischen Protestanten-Kirche. Die Synodalen fackelten dort ein grün-rotes Feuerwerk ab. Sie beschlossen Initiativen gegen angeblich grassierenden Rassismus in ihrer Kirche. Verabschiedeten Resolutionen für mehr „Vielfaltssensibilität“. Beschimpften Friedrich Merz wegen des Plans, Grenzen zu schützen. Warben dafür, in Kirche und Bibelauslegung stärker mit den Begriffen „Gender“ und „Geschlechterkonstruktion“ zu arbeiten – und die Kirche in all ihren Räumen weiter für Trans-Menschen zu öffnen. Ach ja, ein „Schuldbekenntnis gegenüber LGBTQIA+ Menschen“ verkündeten sie auch. Die seien in der Kirche diskriminiert worden. Weshalb diese nun bereue und um Vergebung bitte. Es war also wieder mal eine schwere Stunde für alle Bürgerlichen.
Kein Zweifel: Zum christlichen Glauben gehört, dass Gott die Menschen liebt. Selbstverständlich auch jene, die hinter dem kaum mehr richtig zu schreibenden LGBT***-Buchstabensalat versteckt werden. Und ja, es muss hart gewesen sein für christliche Trans-Menschen, dass ihnen zum Beispiel kirchliche Hochzeiten einst vorenthalten wurden. Dafür kann eine Kirche sich ruhig entschuldigen.
LGBTQIA-Diskriminierung und Holocaust – das gehört nicht zusammen
Aber muss deshalb ein ellenlanger historischer Prozess gestartet werden, der alle Poren der Kirche durchdringen soll? Und braucht es dafür gleich ein „Schuldbekenntnis“? Diese Begriffswahl droht das Thema zu überhöhen. Denn große öffentliche Schuldbekenntnisse der Kirche sind seltene Vorgänge. Sie erinnern fast unvermeidlich an das „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ von 1945, als die evangelische Kirche eine Mitschuld an Diktatur, Weltkrieg und Holocaust beichtete. Mit Verlaub: LGBTQIA-Diskriminierung und Holocaust – das gehört nicht einmal in eine lockere Assoziationskette. Weshalb schon Johannes Rau seine Kirche mahnte, mit Schuldbekenntnissen behutsam umzugehen. Für Bürgerliche ist das selbstverständlich, für Kirchenfunktionäre eher nicht.
Unterschlagene Opfer der Migranten-Kriminalität
Auch bürgerliche Christen begrüßen es natürlich, wenn Fehlverhalten benannt wird. Aber dann doch bitte für alle Themen, die danach verlangen: Was ist mit über 700 Millionen Hungernden weltweit? Tut die reiche Kirche genug, um deren Not zu lindern? Darf ein Moral predigender Kirchenfürst gleichzeitig zu den Bestverdienenden im Lande gehören? Und was ist mit all den Kriminalitäts-Opfern, den Vergewaltigten, Verprügelten und Ermordeten, die auf das Konto irregulärer Einwanderer gehen? Deren Aufnahme hatten die Kirchen schließlich eingefordert! Doch die Bürgerlichen in der Kirche knirschen nur mit den Zähnen. Und zahlen weiter Kirchensteuer. Weil sie wissen: Alle Menschen sind fehlbar. Ihre Funktionäre offenkundig. Aber sie selbst ja auch.
Kein Wort über die biologischen Geschlechter?
Selbstverständlich freuen sich bürgerliche Christen über jeden menschenfreundlichen Impuls. Sie reiben sich aber am Unausgewogenen, an dem Einseitigen und Überspannten, das progressiven Initiativen oft zu eigen ist. Dazu gehört im Blick auf LGBTQIA-Förderung, dass die Kirche zumindest ergänzende Hinweise geben müsste:
Etwa, dass neben den konstruierten Gefühlsgeschlechtern auch zwei nichtkonstruierte biologische Geschlechter existieren. Oder dass der Kampf gegen Diskriminierung von Trans-Menschen nicht auf Werbung für Geschlechtswechsel in Kitas und Schulen hinauslaufen darf – wie sie leider vorkommt. Oder dass nachweislich auch das Risiko eines übereilten Geschlechtswechsels existiert. Wo bleibt da die ausgewogene evangelische Stimme?
Der Rassismus der Antirassisten
Und weiter: Zu einer ausgewogenen Behandlung des Themas Rassismus würde die Warnung gehören, dass sich längst ein neuer Rassismus unter dem Deckmantel des Antirassismus gebildet hat. Vertreter der „critical race theory“ wie Robin diAngelo behaupten beinhart, alle Weißen seien Rassisten – aufgrund ihrer Hautfarbe. Aber darüber verlieren Kirchen kaum ein Wort. Stattdessen wird die „critical race theory“ sogar rezipiert auf Tagungen der Kirchen – als ob Rassismus nur manchmal die Pest sei. Für bürgerliche Christen ist es sonnenklar, dass auch jede noch so modische Emanzipationsbewegung kritisch hinterfragt werden muss. Ihre Funktionäre müssen das noch lernen.
Folglich leiden bürgerliche Protestanten weiter still vor sich hin. Dabei sind sie ja längst bescheiden geworden. Niemals würden sie sich eine Parteinahme der Kirche zugunsten etwa eines CDU-Kanzlerkandidaten erträumen. Das fänden sie nicht rechtens, weil solche Parteilichkeit nicht Aufgabe einer Institution sein kann, die für alle da zu sein vorgibt. Sie hoffen allerdings, ihre Kirchenoberen würden eines Tages vielleicht doch erkennen, dass auch die Begriffe „Rot-Grün“ und „Jesus“ keine Synonyme sind.
Die CDU schulmeistern im Namen der Gläubigen
Aber selbst dieser Traum zerplatzt immer neu, zuletzt, als die Kirchen kurz vor der Wahl ein Sperrfeuer auf den Kanzlerkandidaten der Union abschossen – weil er für das kämpft, was sich über zwei Drittel der Deutschen wünschen: besser gesicherte nationale Grenzen. Der rheinische Präses Thorsten Latzel zum Beispiel schulmeisterte Friedrich Merz & Co., Menschen hätten „das Recht auf Asyl“. Asyl sei „kein Thema für einen politischen Überbietungswettbewerb im Wahlkampf“.
Solche Aussagen schmerzen bürgerliche Protestanten gleich doppelt. Zum einen wegen der Anmaßung, selbstermächtigt im Namen von Millionen Christen in den Wahlkampf einzugreifen, zum anderen wegen der Unkenntnis, die sich darin ausdrückt. Tatsächlich schränkt der Merz-Vorstoß zur Abweisung irregulärer Migranten an der deutschen Grenze niemandes Asylrecht ein. Denn wer auf dem Landweg an die deutsche Grenze gelangt, befindet sich in 100 Prozent aller Fälle bereits in einem sicheren Drittland, in dem man Asyl beantragen kann.
Ein bisschen politische Selbstreflexion!
Vollends erschütternd wirkt aber der Mangel an politischer Selbstreflexion und Selbstkritik. Wann immer man Protestantenführer auf ihr Linksauslegertum anspricht, erwidern sie treuherzig, sie seien doch nicht links. Sie engagierten sich nur, wie Latzel sagt, „aus Glauben für Menschen- und Freiheitsrechte und den Erhalt der Schöpfung“. Diese Werte seien doch „unstrittig“. Dass man diese Grundwerte unterschiedlich in konkrete Politik übersetzen kann, kommt da nicht vor. De facto präsentieren Kirchenobere ihre politischen Positionen damit als alternativlos. Bürgerliche Christen (und auch sonst alle halbwegs klar denkenden Menschen) dagegen wissen, wie verschieden die konkreten Schlüsse ausfallen können, die aus den abstrakten Grundwerten aller Demokraten gezogen werden. Folglich darf Kirche im parteipolitischen Kampf der Demokraten nicht mitmischen. Dass ihre Kirchenoberen nicht einmal dieses kleine Polit-Einmaleins beherrschen, enttäuscht jeden Bürgerlichen.
Und trotzdem bleiben sie ihrer Kirche (oft) treu. Womit sie nicht nur zum Schmuck dieser Kirche mutieren, sondern auch zu Missionaren erster Güte. Denn: Wer wollte nicht wissen, warum sie sich das bloß antun?”
Anmerkung der Redaktion: Die Evangelische Gemeinde Pattaya tut sich dies seit Anfang 2024 nicht mehr an. Wir haben uns von der EKD getrennt und sind seitdem eine unabhängige evangelische Gemeinde mit ökumenischer Ausrichtung, in der alle Menschen guten Willens, von der Klima-Greta bis zum AfD-Wähler, ob hetero, homo oder alles was dazwischenliegt, ihren Platz haben. Wir verfolgen keine politische Agenda, sondern fokussieren und auf die Kernaufgaben des Christentums: die Verkündigung des Evangeliums, Gemeinschaft anzubieten und die konkrete Sorge um den Mitmenschen.