Quelle: IDEA DAS CHRISTLICHE SPEKTRUM 30.2025
Für Polyamorie, die einvernehmliche, gleichzeitige Liebesbeziehung mit mehr als einem Partner, interessieren sich immer mehr – vor allem junge – Menschen. Stehen polyamore Partnerschaften auch unter den Segen Gottes? Denn unter anderen Namen sind polyamore Beziehungen schon viel älter.
Unter Polyamorie versteht man seit den 1990er Jahren eine nichteheliche Liebesbeziehung mehrerer Partner. Unter anderen Namen sind polyamore Beziehungen schon viel älter. Die Frage, ob Polyamorie biblisch ist, muss man zunächst positiv beantworten. Denn ihre Zwillingsschwester, die Polygamie (die Ehe mit mehreren Partnern), wird in der Bibel immer wieder erwähnt. In vielen Texten wird sie als selbstverständliches Element der damaligen Kultur des alten Vorderen Orients beschrieben – in ganz verschiedenen Spielarten.
Welche Formen der Polygamie finden sich im Alten Testament?
Auf die Mehrehe stößt der Bibelleser bereits in der Urgeschichte, und zwar zunächst in ihrer kleinstmöglichen Ausprägung, der Bigamie (Doppelehe): Lamech heiratet zwei Frauen, Ada und Zilla (1. Mose 4,19–24). In den Erzvätergeschichten spielt die Mehrehe in unterschiedlich komplexen Varianten eine wichtige Rolle: Abraham nahm Sara zur Frau und aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit deren ägyptische Sklavin Hagar zur Nebenfrau (16,1–16). Jakob nahm die Schwestern Lea und Rahel zu Hauptfrauen (29,15–35) und zur Zeugung weiterer Kinder ihre Dienerinnen Bilha und Silpa zu Nebenfrauen (30,1–13). In der Königszeit war Polygamie besonders im Herrscherhaus üblich. Der königliche Harem war ein Ausdruck von Reichtum und Macht. König David hatte mindestens sechs Ehefrauen (2. Samuel 3,2–5) und mindestens zehn Nebenfrauen (15,16). Das biblische Maximum erreichte sein Sohn Salomo mit 700 Ehefrauen und 300 Nebenfrauen (1. Könige 11,1–8). Die Polygamie wurde in den biblischen Geschichtsbüchern nicht ausdrücklich kritisiert. Die Erzähler ließen aber hier und da anklingen, dass Mehrehen Probleme mit sich brachten, die es in Einehen nicht gab: Ehemänner bevorzugten ihre Lieblingsfrauen (1. Mose 29,30). Mit demselben Mann verheiratete Frauen litten unter Eifersucht (30,1), wurden zu Rivalinnen (1. Samuel 1,4–7) und verachteten und demütigten einander (1. Mose 16,4–6).
Wie wurde Polygamie im mosaischen Gesetz behandelt?
In diesen und vielen anderen biblischen Erzählungen über Polygamie wird nur von Polygynie (der Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen) und nie von Polyandrie (der Ehe einer Frau mit mehreren Männern) berichtet. Dafür verantwortlich war eine stark patriarchalische Gesellschaftsstruktur, die auf dem Recht des Stärkeren beruhte. Als die Stärkeren vertraten die Männer eine doppelte Moral im Dienste einer sexualethischen Asymmetrie: Das sexuelle Recht auf viele Partnerinnen, das sie für sich selbst in Anspruch nahmen, verweigerten sie den Frauen, die nur einen Partner haben durften. Diese Geschlechterungerechtigkeit schloss auch das Gesetz des Mose nicht aus, sondern setzte die Existenz der Vielehe als gegeben voraus. Der Gesetzgeber traf lediglich Regelungen gegen bestimmte Fehlentwicklungen. Beispielsweise durfte ein Mann nicht die Schwester seiner ersten Frau heiraten, solange die erste Frau noch lebte (3. Mose 18,18).
Was sagte die zweite Schöpfungserzählung zur Polygamie?
Der alttestamentliche Text, der die Praxis der Vielehe am deutlichsten infrage stellte, findet sich in der zweiten Schöpfungserzählung. Nicht die Vielehe, sondern die Einehe ist das Ideal, das der Schöpfer ganz am Anfang für seine Geschöpfe vorgesehen hat. Um die Einsamkeit des Mannes zu beseitigen, stellt Jahwe ihm nicht mehrere Frauen zur Seite, sondern nur eine (1. Mose 2,18–25). Die vom Schöpfer vorgesehene Ehe verbindet exklusiv nur einen Mann und eine Frau. Die Vielehe eines Mannes mit mehreren Frauen – oder einer Frau mit mehreren Männern – kommt in dieser idealen Anfangszeit nicht vor. Die von Gott vorgegebene Eheform ist die Monogamie. Das gilt unabhängig davon, dass die Erzväter und Könige Israels diesem Ideal nicht gerecht geworden sind.
Wie stand Jesus zur Polygamie?
Noch zur Zeit Jesu war es „den Juden nach väterlicher Sitte erlaubt, mehrere Frauen zu heiraten“ (Josephus, Jüdischer Krieg 1,377). Aber im Volk wurde die Mehrehe in neutestamentlicher Zeit wahrscheinlich kaum praktiziert. In den Qumranschriften wurde sie sogar verboten mit dem Argument, sie verstoße gegen „die Grundlage der Schöpfung“ (Damaskusschrift 4,19–5,2). Ein Jesuswort zur Polygamie ist uns nicht überliefert worden. Offensichtlich konzentrierte Jesus sich in seiner Verkündigung auf verbreitetere Phänomene wie die leichtfertige Scheidungspraxis seiner Zeit. Eindeutig ist aber, dass er sich in seiner sexualethischen Argumentation weder an der im Alten Testament bezeugten Lebenspraxis noch am mosaischen Gesetz orientierte, sondern an der zweiten Schöpfungserzählung über die Einehe. Aus der Aussage, dass Mann und Frau zu „einem Fleisch“ werden (1. Mose 2,24), folgerte Jesus: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ (Matthäus 19,6). Mit anderen Worten: Zwischen zwei Sexualpartnern entsteht eine einzigartige Verbindung, die bis tief in ihre Seelen hineinreicht. Darum sollen die beiden weder einander noch sich selbst durch das Beschädigen oder Zerreißen dieser Verbindung schwer verletzen. Diese Argumentation legt nahe, dass Jesus außer dem Partnerwechsel auch gleichzeitige Liebesbeziehungen zu mehreren Partnerinnen oder Partnern abgelehnt hat. Denn auch sie widersprechen sowohl dem idealen Plan des Schöpfers (1. Mose 2,18–25) als auch dem Liebesgebot, das Jesus ins Zentrum seiner Ethik gerückt hat (Matthäus 22,34–40).
Was sagten die Paulusbriefe zur Polyamorie?
In der griechisch-römischen Kultur der neutestamentlichen Zeit waren polygame Beziehungen selten. Männern stand es aber frei, nicht nur vor oder nach, sondern auch neben einer offiziellen Ehe eine eheähnliche Beziehung zu einer Konkubine (Beischläferin) zu pflegen. Diese gleichzeitigen Beziehungen zu einer Ehefrau und einer Konkubine waren der Polyamorie sehr ähnlich. Solche und andere außerehelichen Sexualkontakte dürften mit der Regelung gemeint gewesen sein, dass für das Amt des Aufsehers (1. Timotheus 3,2), des Diakons (3,12) und des Presbyters (Titus 1,6) einer christlichen Gemeinde nur jemand infrage kam, der „Mann einer einzigen Frau“ war. Die Exklusivität der Paarbeziehung aus der zweiten Schöpfungserzählung (1. Mose 2,18–25) war auch hier der ethische Maßstab, dem Leitungspersonen in besonders vorbildlicher Weise gerecht werden mussten. Obwohl sich die Formulierungen der Pastoralbriefe nicht speziell gegen polygame oder polyamore Beziehungen richteten, sind sie indirekt auch für diese gültig.
Neben der zweiten Schöpfungserzählung war auch in der paulinischen Sexualethik das Liebesgebot zentral, das vom Mann forderte, die Bedürfnisse seiner Frau zu achten, notfalls bis zum Martyrium (Epheser 5,25–33). Dadurch war und ist jede Form von Geschlechterungerechtigkeit und Doppelmoral ausgeschlossen. Und daraus folgte für polygame und polyamore Lebensformen: Weil „es für die Frau eine Verwundung bedeutet, nicht die einzige Frau ihres Mannes zu sein, so gebietet die Agape, diese Wunde nicht zuzufügen“ (der evangelische Theologe Helmut Thielicke, 1908–1986) – und umgekehrt. Polyamorie ist folglich nur in dem Sinne biblisch, dass sie in der Bibel häufig vorkommt; sie ist in dem Sinne völlig unbiblisch, dass sie hinter dem ethischen Niveau der zweiten Schöpfungserzählung und der neutestamentlichen Ethik zurückbleibt.
Was zeigen moderne polyamore Experimente?
In Deutschland ist Polygamie bekanntlich gesetzlich verboten. Polyamorie ist Männern und Frauen erlaubt und besonders seit der sexuellen Revolution der 1960er Jahre in vielen Varianten ausprobiert worden. Die Fernsehjournalistin und Filmproduzentin Katharina Wulff-Bräutigam (Jahrgang 1965) hat in einem Buch über ihre Kindheit in den 1970er Jahren auch von ihren Erfahrungen mit der Polyamorie berichtet. Ihre Mutter Mona und ihr Vater Peter hatten zwei gemeinsame Töchter. Als Mona sich in Robert verliebte, zog dieser bei der Familie ein, und Mona versuchte, mit zwei Männern zusammenzuleben. Peter und Robert wurden Freunde und beschlossen, sich Mona zu teilen, die die Nächte mal mit Peter und mal mit Robert verbrachte. Als das nicht mehr gutging, zog Robert wieder aus. Welche Erleichterung die Rückkehr ihrer Eltern zur Monogamie bei ihr als Tochter auslöste, hat Katharina Wulff-Bräutigam rückblickend so beschrieben: „Nun waren wir wieder eine richtige Familie: Vater, Mutter, Kind. Über diese neuen Verhältnisse war ich so glücklich, dass ich einen Freudentanz in meinem Zimmer aufführte. Schließlich wollte ich wie alle Kinder, dass meine Eltern zusammenleben, ohne dass sich ein Dritter dazwischendrängt.“ Unter polyamoren Beziehungen leiden nicht nur die beteiligten Erwachsenen, sondern auch ihre Kinder.
Was spricht für die Monogamie?
Beide Töchter vertreten aufgrund ihrer schlimmen Kindheitserfahrungen mit der freizügigen Sexualmoral ihrer Eltern als Erwachsene eine konservative Sexualethik. Katharina Wulff-Bräutigam entschied sich sehr bewusst für eine monogame Ehe mit Kindern. Die christliche Entscheidung für die Monogamie und gegen jede Form von Polygamie und Polyamorie beruht nicht nur auf exegetischen Gründen, sondern auch auf sehr konkreten Lebenserfahrungen. Hinter die seit 2.000 Jahren bewährte Entscheidung für die Exklusivität der Ehe (und eheähnlicher Beziehungen) sollten Christen, Theologen und Kirchen nicht mehr zurückfallen.
[Armin Baum ist Professor für Neues Testament und Leiter der Abteilung Neues Testament der Freien Theologischen Hochschule Gießen (FTH)]