„Polyhochzeit“: Grenzen wurden überschritten
03.12.2025 Evangelische Professoren kritisieren das Vorgehen einer Berliner Pfarrerin
Die Segnung von vier Männern in einer polyamoren Beziehung durch die Berliner Pfarrerin Lena Müller hat eine Debatte um die Grenzen kirchlicher Praxis und das Selbstverständnis der evangelischen Kirche ausgelöst. Nun haben zwei evangelische Professoren ihre Missbilligung der Vorgänge zum Ausdruck gebracht. Anlass war das Bekanntwerden einer gottesdienstlichen Zeremonie im Rahmen eines „Pop-up“-Hochzeitsfestivals am 25. Juli in der Berliner Heilig-Kreuz-Kirche. Dabei hatte Müller vier Männer gesegnet, die eine polyamore Beziehung führen. Sie hatte das am 5. November in einem Interview mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ öffentlich gemacht. Sie sei überzeugt, so Müller, dass die vier „vor Gott wirklich geheiratet haben“. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) distanzierte sich von dieser Handlung und stellte sich nach massiver Kritik in den Sozialen Medien schützend vor die Pfarrerin.
Der Kirchenrechtler Prof. Hans Michael Heinig äußerte sich im Interview mit dem „Spiegel“ kritisch zu dem Vorgang. Zwar gebe es keine explizite Norm, die Segnungen polyamouröser Beziehungen ausdrücklich verbietet, jedoch sei das Handeln einer Pfarrerin immer an das gebunden, „was die Gemeinschaft der Kirchenmitglieder mit dem Recht noch für theologisch verantwortbar erklärt“. In diesem Fall seien „Grenzen überschritten worden“. Heinig betonte, dass das Pfarramt nicht der „spirituellen Selbstverwirklichung“ der Inhaber diene, sondern dem Auftrag, das Evangelium zu verkündigen. Die Regeln für Trauungen und Segnungen würden von der Synode, dem Kirchenparlament, verabschiedet und dürften nicht von einzelnen Amtsträgern nach persönlichem Ermessen ausgelegt werden. Mit Blick auf das konkrete Vorgehen kritisierte Heinig die Praxis sogenannter „Spontantrauungen“ ohne Eheschließung und Traugespräch, wie sie im Rahmen des Pop-up-Festivals in Berlin stattfanden. Solche Handlungen seien kirchenrechtlich ausgeschlossen und ihm aus anderen Teilen Deutschlands nicht bekannt. Heinig warnte zudem davor, dass Pfarrer künftig beliebige Konstellationen segnen könnten: „Hund und Frauchen, Waffensysteme, ein Spaghetti-Sieb? Ich wage zu bezweifeln, dass das noch eine pflichtgemäße Amtsausübung wäre.“ Heinig bezeichnete es als angemessen, dass sich die Kirchenleitung mit der Berliner Pfarrerin solidarisiert hatte. „Die Solidarität gilt nicht als Billigung des Handelns, sondern dem Schutz der Person.“ Zugleich sei es Aufgabe der Kirche zu prüfen, ob ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden solle.
Der Theologieprofessor Ralf Frisch kritisierte in einem Gastbeitrag auf der Internetseite der „Welt“ die Berliner Segnung als Symptom einer „Instinktsicherheit“ der evangelischen Kirche in Fragen der Selbstzerstörung. Frisch sieht darin eine „grenzenlose Sehnsucht“ nach Aufmerksamkeit und warnt vor dem Verlust des Sinns für die Grenzen des Evangelischen und des guten Geschmacks. Er stellt die Frage, ob es im Blick auf ethische Überzeugungen eine Grenze gibt, „deren Überschreitung dazu führt, dass die christliche Kirche keine christliche Kirche mehr ist“. Er sei überzeugt, dass es diese Grenzen gebe und dass sie „um Gottes willen“ nicht überschritten werden sollten. Frisch räumt zudem ein, dass es zur Pflicht der Kirchenleitung gehöre, sich schützend vor ihre Pfarrerin zu stellen. Zugleich fragt der Theologe, ob es nicht ebenso zu deren Pflicht gehöre, „die Kirche vor einer Pfarrerin zu schützen, die großartig und zukunftsträchtig findet, was Geister ruft, die am Ende niemand mehr los wird“.
[Aus: IDEA DAS CHRISTLICHE SPEKTRUM 47.2025]
[Anmerkung der Redaktion: Polyamore Hochzeiten sind rechtlich in Deutschland nicht möglich, da das Gesetz nur Ehen zwischen zwei Personen vorsieht. Eine Heirat mit mehr als einer Person ist strafbar (Bigamie). ]


