2019: 270,000 Austritte bei 5.95 Mrd. Euro Kirchensteuereinnahmen
„Angesichts dieser Herausforderungen werden wir nicht tatenlos bleiben. Jeder einzelne Austritt schmerzt, nicht zuletzt, weil alle Mitarbeitenden hochmotiviert arbeiten“ – ehem. EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm (26.06.2020)
2020: 220,000 Austritte bei 5.63 Mrd. Euro Kirchensteuereinnahmen
„Jeder Kirchenaustritt bekümmert mich und lässt mich fragen, was wir als Kirche tun können, um Menschen vom guten Sinn der Mitgliedschaft in unserer Kirche zu überzeugen.” – ehem. EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm (14.07.2021)
2021: 280,000 Austritte bei 5.99 Mrd. Euro Kirchensteuereinnahmen
„Zwar hängt die Ausstrahlungskraft einer Kirche nicht allein an der Zahl der Mitglieder, die ihr formal angehören, trotzdem werden wir sinkende Mitgliederzahlen und anhaltend hohe Austrittszahlen nicht als gottgegeben hinnehmen, sondern dort, wo es möglich ist, entschieden gegensteuern“ – EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschuss (09.03.2022)
2022: 380,000 Austritte bei 6.10 Mrd. Euro Kirchensteuereinnahmen
„Die stetige Veränderung gehört zum Wesensmerkmal der evangelischen Kirche. Gegenwärtig sind besonders tiefgreifende Veränderungen zu gestalten“ – EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschuss (07.03.2023)
In den letzten Jahren konnte ein jeder nur mit ungläubigem Staunen die Phrasen der Kirchenleitung zur negativen Mitgliederentwicklung zur Kenntnis nehmen, die eher einer Resignation gleichen. Ein „naja, so ist es halt nun einmal“ aus dem Munde der Geistlichen, deren Kern die Verkündigung der Freude aus dem Glauben der Auferstehung heraus sein sollte, ist für jeden Menschen, der entweder noch Mitglied in der Kirche ist oder sich sonst wie der Kirche verbunden fühlt, ein Tritt in die Magengrube.
Seit Jahren weiß die Kirche um die negative Entwicklung, nicht nur bei der sinkenden Anzahl der Hauptamtlichen, sondern auch bei den Gottesdienstbesuchern. Und was tut die Kirche? Sie hofft auf bessere Zeiten jenseits der 2030er Jahre mit einer schlankeren Kirche. Strukturreformen sollen das Wundermittel der Zukunft sein. In der Zwischenzeit werden Gemeinden zusammengelegt, Kirchen aufgegeben und die Ehrenamtlichen bis zur Erschöpfung überstrapaziert.
Anstelle sich um das geistliche Fundament der Mitglieder und der Bevölkerung zu bemühen, den christlichen Glauben in den Vordergrund zu stellen, wird über Strukturen aus der Preußenzeit diskutiert, ein Organigramm nach dem anderen erstellt. Immer neue Mega-Gemeinden sollen entstehen. Doch was nützt eine Mega-Gemeinde den Menschen vor Ort, wo ein Geistlicher 6 zusammengelegte Gemeinden betreuen soll? Was nützen Gebäude, wenn niemand sie mehr nutzt? Was bringt einem das Geschwätz von einer Ehrenamtskirche, wenn trotz aller Strukturreformen die Kirche ein Bürokratiemonster bleibt, verbeamtete Geistliche mit auskömmlichen Einkommen an Burnout leiden und das geistliche Leben selbst über die Jahre hinweg verkümmert ist?
Wer verkündet die Botschaft Christi vor Ort, wenn nur alle 6 Wochen ein Gottesdienst stattfindet, zu dem keiner mehr kommt? Wer geht zu den Menschen, die krank, arm, alleine und vergessen sind, wenn die Gemeinschaft vor Ort am Zerbröckeln ist? Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da stand man am Wochenende vor dem Kirchplatz, wenn der Pfarrer Freiwillige für irgendwelche Handwerksarbeiten gesucht hat. Wenn ich heute mit den Menschen vor Ort rede, sagen viele, die Kirche hat sie im Stich gelassen.
Die Kirche hat sich zurückgezogen. Sie hat die Menschen auf dem Land aufgegeben. Das ist eine Kapitulation. Und es ist ein Trugschluss zu glauben, man könne diese Menschen durch Strukturreformen oder einer inhaltsleeren Charmoffensive wieder zurück in das Haus Gottes bringen. Nein, nein. Es würde den Hauptamtlichen einmal gut tun, sich der Wahrheit zu stellen. Anstelle weiter zu einem Liegenschaftsverwalter zu mutieren, sollte die Kirche ihre Kräfte dazu nutzen, sich endlich wieder aktiver am sozialen Leben der Menschen einzubringen, ohne belehrend den politischen Zeigefinger zu heben oder das Engagement nach einer handelsrechtskonformen Kosten-Nutzenrechnung zu bewerten.
Glaube wird gelebt vor Ort. Glaube wird getragen vor Ort. Und Glaube bildet Gemeinschaft, ganz gleich, ob die Verwaltungsvorschriften dies so vorsehen oder nicht. Die Amtskirche, ganz gleich ob katholisch oder evangelisch, ist über Jahre hinweg einer Arroganz der Selbstgefälligkeit verfallen, wo das Denken „solange wir es finanzieren können, machen wir es“ wichtiger geworden ist als das „wir dienen den Menschen aus Überzeugung“. Wann haben Sie, werte Leser, das letzte Mal von der Kirche gehört, dass ein jeder von Ihnen wichtig ist? Dass die Kirche Ihnen für Ihr Dasein dankt? Oder gar, ganz verwegen, die Kirche Sie in Ihrem Glauben stärkt, ermutigt und erbaut? Die letzten beiden Gemeindebriefe, die meine Familie von der Kirche erhalten hat, beinhalteten, dass der Gottesdienst jetzt nur noch alle 6 Wochen stattfindet, gefolgt von einer lange Liste an in Christus Verstorbenen und dass der Pfarrer nur noch dienstags von 13-15 Uhr für Gespräche zur Verfügung steht.
Na, Halleluja, wenn da nicht Freude am Glauben aufkommt ... Also, was tun? Vielleicht können wir am Ende des Tages uns alle einmal fragen, wer oder was ist mir im Leben wichtig? Welche Gemeinschaft braucht mein Herz, und wer oder was tut meiner Seele gut? Seien wir mutig, gehen wir aufrecht in die Zukunft. Packen wir es an, vor Ort. Besuchen Sie doch einmal einen Mitmenschen, rufen Sie einmal jemanden an. Sagen Sie mal „Danke“ – all das wird den Niedergang der Amtskirche nicht aufhalten, aber es sind oft die kleinen Dinge, die Gemeinschaft stiften. Und mit einer kleinen Gemeinschaft in einer abgelegenen Provinz namens Galiläa hat die Geschichte der Kirche einmal angefangen.
U. Riel