Wie sahen die Assyrer die Könige von Israel und Juda? I
27.05.2025 Die andere Perspektive . Teil 1
Die Geschichts- und Prophetenbücher der Bibel erzählen von dramatischen Ereignissen, als die Assyrer Israel und Juda bedrohen, belagern und erobern. Zuletzt bewahrt Gott zumindest Jerusalem! In assyrischen Quellen liest sich das jedoch ganz anders.
Die Assyrer herrschten in der ersten Hälfte des ersten Jahrtausends, in der sogenannten neuassyrischen Zeit (934–612 vC), über den größten Teil des Nahen Ostens. Im Laufe ihrer imperialen Expansion, die sie in alle Himmelsrichtungen führten, haben die assyrischen Könige zwei Herrschaftsstrategien angewandt:
• die direkte Herrschaft durch Einrichtung einer Provinz, die das Ende der politischen Unabhängigkeit bedeutete,
• und die indirekte Herrschaft durch Vasallen, die tributpflichtig waren und eine gewisse Unabhängigkeit in innenpolitischen Angelegenheiten genossen.
Rebellierte ein Vasallenstaat wiederholt, konnte er annektiert werden und hörte als selbstständige politische Einheit auf zu existieren. Israel und Juda stellen Beispiele für beide Strategien dar: Beide wurden zu assyrischen Vasallen gemacht, aber nur Israel wurde daraufhin (in zwei Phasen) annektiert, während Juda den Vasallenstatus bis zum Untergang des neuassyrischen Reichs beibehalten konnte.
Wer rebelliert, wird bestraft
Die assyrischen Herrscher zogen 67-mal in die Levante (876/869–645 vC). Innerhalb von 64 Jahren (740–677 vC) wurden über zwanzig Provinzen in dieser Region eingerichtet. Die Eroberung Palästinas begann 734 vC mit Tiglatpileser III. (745–727 vC) und dauerte bis ca. 645 vC. Im Laufe dieser 90 Jahre wurden mehrere Strafaktionen wegen Tributverweigerung und antiassyrischer Aktivitäten durchgeführt, insgesamt elf. Darüber wurde ausführlich in den neuassyrischen Königsinschriften berichtet. Israel und Juda waren nur zwei unter mehreren Staaten, denen die Assyrer in dieser Region begegneten, und zählten nicht zu den bedeutendsten. Sie waren vielmehr zwei kleine Teile im großen Puzzle des neuassyrischen Reichs. Die zentrale Rolle von Israel und Juda in der Hebräischen Bibel erweckt einen verzerrten Eindruck von Größe und Einzigartigkeit, der der historischen Realität nicht entspricht.
Das Reich Israel wird in den neuassyrischen Quellen „Haus des Omri“ (BītḪumrî) genannt, nach dem Gründer von dessen Hauptstadt Samaria (Samerīna). Omris Nachfolger Ahab (Aḫ-abi) ist der erste König Israels, der in Konflikt mit Assyrien geriet. Im Jahr 853 vC kämpfte er in der Schlacht von Qarqar als einer von zwölf Verbündeten gegen Salmanassar III. (858–824 vC), 2000 Streitwagen sowie 10.000 Mann stellte er bereit. Doch die Koalition unterliegt und so ist Israel seit 841 vC als assyrischer Vasall bezeugt. Damals zahlte Jehu (Jāūa) Silber, Gold, goldene Objekte, Zinn, Stäbe und Schwerter als Tribut an Salmanassar III., der dies auf seinem Schwarzen Obelisken bildhaft darstellen ließ. Jehu wird als „Sohn des Omri“ im Sinne von „aus dem (Königs-)Haus des Omri“ genannt, was eigentlich nicht stimmt, da Jehu ein Usurpator war. Doch Bīt-Ḫumrî war die übliche Benennung von Israel. Weiterhin sind die Tribute von Joas (Jū’āsu) an Adad-nērārī III. (796 vC) und von Menahem (Menaḫēme) an Tiglatpileser III. (738 vC) schriftlich bezeugt. Obwohl Damaskus und Israel im Jahr 738 vC noch Tribut zahlten, rückte die assyrische Präsenz nach Tiglatpilesers III. Eroberungen in der nördlichen Levante immer näher. Das führte um 734 vC zur Bildung einer antiassyrischen Koalition zwischen Rezin (Raḫiānu) von Damaskus (Syrien) und Pekach (Paqaḫu) von Israel (in der Bibel auch Ephraim genannt) und zum sogenannten syrisch-ephraimitischen Krieg, den wir hauptsächlich aus den biblischen Quellen kennen. Als sich Ahas (Jaū-ḫasi) von Juda weigerte, an dem Bündnis teilzunehmen, belagerten Rezin und Pekach Jerusalem, mit dem Ziel, ihn zu stürzen. Ahas’ Hilferuf in Richtung Tiglatpileser („rette mich aus der Hand des Königs von Aram und des Königs von Israel, die mich bedrohen“), von dem 2.Kön 16,7 erzählt, ist in den assyrischen Quellen nicht überliefert und es war vielmehr die Gefahr einer ausgedehnten Rebellion im Westen, die Tiglatpileser dazu veranlasste, die Vasallen Damaskus und Israel zu bändigen. Nach zwei Feldzügen in den Jahren 733 und 732 vC fiel Damaskus. Auf Rezins Territorium wurden die Provinzen Damaskus (Dimašqa) und Qarnīnu errichtet. Während des Angriffs auf Israel wurde Pekach ermordet und Tiglatpileser III. setzte Hosea (Ausēa’) als seinen Nachfolger ein, allerdings mit einem reduzierten Herrschaftsbereich, der sich auf die Hauptstadt Samaria und ihre unmittelbare Umgebung beschränkte. Der nördliche Teil Israels wurde annektiert und in die Provinz Megiddo (Magidû) umgewandelt; die Errichtung einer weiteren Provinz Gal’adi ist ungewiss und die einer Provinz Dôr (Du’uru) eher zu bezweifeln. Aus assyrischer Sicht war der syrisch-ephraimitische Krieg nur eine unter einer Reihe von Koalitionen, die in der Levante zustande kamen, um die assyrischen Truppen – letztendlich ohne Erfolg – aufzuhalten.
Schwer rekonstruierbar: Das Ende des Königreichs Israel
Die historischen Fakten, die zum Fall von Samaria und zum Ende des Königsreichs Israel zehn Jahre später führten, lassen sich schwer rekonstruieren, denn die Angaben der assyrischen Königsinschriften, der babylonischen Chroniken und der Hebräischen Bibel sind spärlich und zum Teil widersprüchlich. Ein plausibles Szenario lautet wie folgt: Samaria fiel 722 vC, möglicherweise nach einer dreijährigen Belagerung, am Ende der Regierungszeit von Tiglatpilesers Nachfolger und Bruder Salmanassar V. (726–722 vC). Nach den biblischen Quellen wurde der letzte König Israels, Hosea, gefangen genommen und deportiert. Der restliche Teil Israels wurde als Provinz Samerīna in das Reich eingegliedert, wodurch Israel aufhörte zu existieren. Sargon II. (721–705 vC), der seinem Bruder Salmanassar V. auf dem Thron folgte, behauptet in seinen Annalen, er habe Samaria in seinem Thronbesteigungsjahr (722/721 vC) erobert. Dies hat weniger mit der Realität als mit der Notwendigkeit zu tun, dieses feldzugslose Jahr mit einem Erfolg aufzuwerten. Hinweise auf die Eroberung von Samaria in späteren Inschriften könnten indes auf weitere militärische Aktionen um 720 vC zurückzuführen sein. Die routinemäßig durchgeführte Umsiedlungspolitik der Assyrer ließ im Fall von Samaria nicht lange auf sich warten: Nach den biblischen Quellen wurden in den folgenden Jahren Israeliten nach Ḫalaḫḫu in Zentralassyrien, Guzāna (an der türkisch-syrischen Grenze) am Ḫābūr-Fluss (einem Zufluss des Euphrat) und in Städte der Meder (im Westiran) umgesiedelt. Nach den assyrischen Quellen befanden sich unter diesen „zehn verlorenen Stämmen Israels“ Streitwagenkämpfer und qualifizierte Handwerker. Umgekehrt wurden Leute aus Babylon, Kutha (einer Stadt in Nordbabylonien), Sepharvaim (wahrscheinlich der Zwillingsstadt Sippar), Hamath (in Nordwestsyrien) und der nicht lokalisierten Stadt Avva in Samaria angesiedelt. Ferner wird in Sargons Annalen auch über die Umsiedlung von Arabern um 715 vC nach Samaria berichtet. So tragisch das Schicksal der Könige und der Einwohner Israels war – Assyrien hat in ihrem Fall nicht anders als bei anderen unbotmäßigen Vasallen gehandelt.
- Teil 2 folgt nächste Woche -
[Apl. Prof. Dr. Ariel M. Bagg lehrt Altorientalistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg]