Wie sahen die Assyrer die Könige von Israel und Juda? II
03.06.2025 27.05.2025 Die andere Perspektive . Teil 2
Die Geschichts- und Prophetenbücher der Bibel erzählen von dramatischen Ereignissen, als die Assyrer Israel und Juda bedrohen, belagern und erobern. Zuletzt bewahrt Gott zumindest Jerusalem! In assyrischen Quellen liest sich das jedoch ganz anders.
Und das Königreich Juda? Wird es verschont?
Das Schicksal des Königreichs Juda (Ja’udu) war anders. Grund dafür war ohne Zweifel seine strategische Lage an der südwestlichen Grenze des Assyrerreichs und seine Funktion als Pufferstaat gegen Ägypten. Um dem Druck von Israel und Damaskus im syrischephraimitischen Krieg standzuhalten, unterwarf sich Ahas von Juda dem assyrischen König (s. o.). Er wird unter den Tributbringern des Jahres 734 vC in Tiglatpilesers III. Inschriften erwähnt. Juda blieb aber trotz erheblicher Strafmaßnahmen assyrischer Vasall bis zum Ende des Reichs und wurde nie annektiert. Im Zusammenhang mit einer militärischen Aktion um 720 vC betrachtet sich der assyrische König Sargon als „Bezwinger von Juda, dessen Lage fern ist“ – das kann auf die Teilnahme von Ahas’ Sohn Hiskija (Ḫazaqi-Jau) an den Aufständen in der südlichen Levante hindeuten. Auch später scheint Hiskija gegen Assyrien gehandelt zu haben. Er wird unter den Herrschern genannt, die um die Unterstützung von Ägypten ersuchten, als sich die philistäische Stadt Aschdod (Asdūdu) weigerte, weiter Tribut zu zahlen. Diese Weigerung führte 711 vC zu einem Feldzug, der mit der Unterwerfung von Aschdod endete.
Zu Hiskijas antiassyrischen Aktivitäten gehört eine weitere Begebenheit, die nur in der Hebräischen Bibel beschrieben wird: der Empfang einer Gesandtschaft des babylonischen Herrschers und Erzfeindes Assyriens MerodachBaladan (Marduk-apla-iddina II.), der sich wahrscheinlich im Jahr 704 vC ereignete. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass damals eine militärische Allianz entstand und Merodach-Baladan die Urbi zur Verfügung stellte, eine Eliteeinheit, die in den Ereignissen von 701 vC eine wichtige Rolle spielen sollte. Hiskijas Intrigen gegen Assyrien und seine Haltung während einer Reihe von Ereignissen, mündeten in Sanheribs (704–681 vC) Strafaktion des Jahres 701 vC. Sie machten Hiskija zum Staatsfeind Nummer eins in der Levante, und als solcher wird er in den assyrischen Quellen dargestellt. Keinem anderen König von Israel oder Juda wurden so viele Zeilen in den Keilschriftquellen gewidmet. Sanheribs dritter Feldzug des Jahres 701 vC wird häufig als „Feldzug gegen Juda“ bezeichnet und nimmt in der Bibel wie in der alttestamentlichen Forschung großen Raum ein. Er war aber weder eine militärische Aktion, die gegen Juda allein gerichtet war, noch so bedeutend, wie die unverhältnismäßig voluminöse Sekundärliteratur denken lässt. Es handelte sich indes um eine Episode innerhalb einer Kampagne, die phönizische, philistäische und judäische Städte zum Ziel hatte. Eine kleine Fußnote in der neuassyrischen Geschichte und sicherlich kein Großereignis, schon gar nicht ein Ausnahmefall in der imperialen Expansionspolitik Assyriens. Die Aufmerksamkeit der alttestamentlichen Forschung erklärt sich dadurch, dass die Juda-Episode in der Hebräischen Bibel dreimal Erwähnung findet, sie mit der Nicht-Eroberung von Jerusalem endet und Hiskija geschickt als frommer Herrscher präsentiert wird: Er hat sich dem assyrischen König nicht gebeugt, da er Gott vertraute. In einem Paradebeispiel gelungener Rhetorik wird der judäische König quasi als Sieger mit dem Beistand Gottes und Sanherib als Verlierer dargestellt. Die Keilschriftquellen berichten aber, dass Hiskija eine vernichtende Niederlage erlitt und einen hohen Preis für sein Leben zahlte.
Hiskijas Niederlage gegen Sanherib – in der Bibel ein Triumph
Was genau geschah 701 vC während dieses Feldzugs in Juda? Die erste Phase von Sanheribs Kampagne richtete sich gegen Lulî von Sidon (Ṣidūnu), der wahrscheinlich nach Sargons Tod die Zahlung von Tribut einstellte. Lulî, der nach Zypern (Jadnana) floh und daher als Feigling dargestellt wird, wurde von einem Assyrien treuen Herrscher namens Tu-Ba’alu ersetzt. Die assyrische Präsenz bewirkte, dass mehrere lokale Herrscher der Mittelmeer-Küstenstädte sowie Transjordaniens freiwillig vor Ort ihren Tribut zu den assyrischen Beamten brachten. Die Armee zog weiter nach Süden, um mit Ṣidqâ von Aschkelon (Iskalūna) abzurechnen, der gegen die assyrische Herrschaft revoltierte. Zusammen mit seiner Familie wurde er nach Assyrien deportiert und durch Šarru-lū-dāri, den Sohn seines Vorgängers, ersetzt. Vier Städte in seinem Gebiet wurden erobert und geplündert. Bei Eltheke (Altaqû) kämpfte Sanherib erfolgreich gegen ägyptisch-kuschitische Streitkräfte, die die Einwohner von Ekron (Amqarrūna) um Hilfe gerufen hatten. Die Leute von Ekron hatten ihren eigenen König, den proassyrischen Padî, festgenommen und in Fesseln an Hiskija geliefert, sodass sie die Rache der Assyrer zu Recht fürchteten. Was Hiskija zu einem so gewagten Schritt veranlasste – nämlich Padî weiterhin gefangen zu halten –, ist unbekannt. Aber dies war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. In der dritten Phase des Feldzugs wurde Juda angegriffen: 46 befestigte Städte samt den kleineren umliegenden Dörfern wurden erobert, über 200.000 Menschen deportiert, Lachisch (Lakisu), Judas wichtigste Festung, zerstört. Hiskija wurde „wie ein Käfigvogel“, so Sanherib in einer Inschrift, in Jerusalem (Ursalimmu) durch eine Blockade isoliert und eingeschlossen, bis er kapitulierte. Padî wurde freigelassen und wieder als Herrscher von Ekron eingesetzt, der jährliche Tribut wurde erhöht und Hiskijas Töchter, Palastfrauen und Elitetruppen wurden nach Ninive geschickt, zusammen mit einem schweren Tribut: 900 kg Gold und 24 Tonnen Silber. Mehrere judäische Städte wurden an die Herrscher von Aschdod, Ekron und Gaza (Ḫazzat) übergeben, sodass Judas Territorium zusammenschrumpfte.
Die große Frage: Wieso wird Jerusalem nicht erobert?
Über zwei Aspekte dieser Kampagne wurde viel spekuliert: Wieso wurde Juda nicht annektiert und Hiskija nicht abgesetzt oder hingerichtet – und warum wurde Jerusalem nicht erobert? Nun, Sanheribs dritter Feldzug war auch so ein großer Erfolg: Juda wurde dermaßen geschwächt, dass aus diesem Gebiet keine Gefahr mehr zu erwarten war. An der Grenze zu Ägypten stand also wieder ein treuer Vasall und es wäre zu riskant gewesen, eine Provinz dort einzurichten, da assyrisches Gebiet direkt an ägyptisches angegrenzt hätte. Außerdem folgte der Bestrafung eines rebellischen Vasallen nicht zwangsläufig die Annexion seines Territoriums. Jerusalem wurde nicht erobert, weil es einfach nicht nötig war, da sich Hiskija ergab. Die Assyrer haben nicht jede rebellische Stadt eingenommen und geplündert. Das wichtigste Ziel einer Belagerung war vielmehr, die Rebellen zu einer Kapitulation zu zwingen. Sanherib verwüstete Juda und eroberte Lachisch, bevor er sich Hiskijas Residenz vornahm. Jerusalem hat verständlicherweise eine große Bedeutung in der Hebräischen Bibel, da dort der Tempel stand, aber sie war zu dieser Zeit eine kleine Stadt von geringem politischem Gewicht in der Region und noch weniger Bedeutung innerhalb des assyrischen Reichs. Das Ausmaß der Strafaktion gegen Juda, die ausführlich in den assyrischen Königsinschriften beschrieben wird, und die detaillierte Darstellung der Eroberung von Lachisch auf einer der großen Reliefplatten, die einen zentralen Raum in Sanheribs Südwestpalast in Ninive schmückten, zeugen aber eindeutig davon, dass Hiskija den assyrischen König ernsthaft geärgert hat – keine geringe Leistung, doch musste das kleine südliche Reich schwerwiegende Folgen dafür tragen.
Der letzte König von Juda, der in assyrischen Quellen genannt wird, ist Hiskijas Sohn Manasse (Menasê). Asarhaddon (680–669 vC), Sanheribs Sohn und Nachfolger, erwähnt ihn unter den 22 Königen von Syrien, Palästina und Zypern, die aufgefordert wurden, kostbare Hölzer und Steine für den Bau des Zeughauses in Ninive zu liefern (673 vC). Dieselben 22 Herrscher kommen auch bei Assurbanipal (668–631 vC), dem Sohn Asarhaddons, vor. Sie brachten ihm Tribut und leisteten militärische Hilfe für seinen ersten Ägyptenfeldzug im Jahr 667 vC.
Die assyrischen Quellen stellen die Ereignisse in Israel und Juda als Randnotiz dar, die kleinen Reiche sind Elemente im großen Territorium der assyrischen Könige. Mit ihren Instrumenten von Administration, Tribut und wenn nötig Bestrafung beherrschen sie die unterworfenen Völker. In der Bibel sind Spuren der Innensicht solcher unterworfenen Gemeinschaften erhalten. Für Israel und Juda haben die Bedrohung durch die Assyrer, der Wunsch nach Unabhängigkeit und erfahrene Gewalt starke Gefühle ausgelöst, einen Strom literarischer Überlieferung in Gang gesetzt, die Propheten beschäftigt und die Aussagen über den Gott Israels und Judas geprägt. W
[Apl. Prof. Dr. Ariel M. Bagg lehrt Altorientalistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg]